Ein Stueck vom Himmel
dem Tal herauf.
Als wir einmal von der Westlichen Zinne kamen, trafen wir am späten Nachmittag am Paternsattel noch einen Menschen. Das war was Außergewöhnliches. Unser Franzl Kozourek ging auf den Mann zu, um ihn nach der Uhrzeit zu fragen.
»Prego Signore, quante oro?«
Unsere Kletterkluft war damals noch ein Räuberzivil, wir waren unrasiert und jeder hatte einen Holzprügel in der Hand (Holz aus Kriegsunterständen des Ersten Weltkrieges, das wir fürs Abendsüppleinkochen brauchten). Der Mann hob zitternd die Hände hoch.
»Oro! Wie spät is?« sagte unser Franzl und deutete auf die Uhr des Sommerfrischlers.
Dieser löste diese sofort von seinem Arm und drückte sie dem verdutzten Franzl in die Hand. Franzl mit seinen lausigen Italienischkenntnissen hatte ora = Stunde mit oro = Gold verwechselt. Und uns alle hatte der Italiener für eine Räuberbande gehalten.
1978 gab es an dem vielbegangenen Weg von der Auronzohütte zum Paternsattel sogar schon den bunten Stand eines Eisverkäufers. Natürlich waren wir empört über diesen Auswuchs des Massentourismus auf Bergeshöhen. Aber bei unserer stillen Rast unter der Großen Zinne sagte Fritzerl ganz leise: »Jetzt hätte ich einen Gusto auf ein Eis!«
Diesen Gusto hatte ich schon auf dem Gipfel gehabt. Wie die Wilde Jagd rannten wir hinunter zu dem Eisstand. Dort saß der Eisverkäufer und rauchte eine Zigarette. Früher Feierabend – er war ausverkauft.
»Am schönsten war es in den Dolomiten gleich nach dem Krieg, als es dort noch still und einsam war«, hatte ich nach unserer Jubiläumstour gesagt. »Das stimmt nicht!« – Mein alpiner Lehrmeister Schwanda war anderer Meinung: »Die schönste Zeit war in den Dolomiten die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Da waren die Leut noch ganz anders ...«
Da war die dicke Köchin Julia von der Zinnenhütte, die zu den Kletterern immer gesagt hatte, dass Klettern keine Kunst sei. Knödelmachen – das ist eine Kunst. Worauf sie die Burschen mitnahmen: Kleinste Zinne, Preußriss, Schwierigkeitsgrad V! Hans Schwanda: »Von oben haben wir sie gezogen, von unten wurde sie geschoben. Und nachher hat die Goscherte gesagt, dass das Klettern wirklich keine Kunst ist.«
»Ihr zwei habt ja keine Ahnung! Die schönste Zeit in den Dolomiten war die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Da war alles ganz anders!«, sagte zuletzt Alfred Horeschowsky (1895–1987).
Er war in seiner Zeit einer der besten Wiener Bergsteiger, hatte Aufsehen erregt durch seine Alleinbegehung von schwierigsten Klettereien und bereits 1923 versuchte er die Matterhorn-Nordwand zu durchsteigen. Als 19-Jähriger war er erstmals in die Dolomiten gekommen und sofort von der russischen Gräfin Kasnapoff (die ihn klettern gesehen hatte) als Führer engagiert worden.
Bei dieser Plauderei dreier Bergsteiger dreier Generationen gab es keine Einigung darüber, in welcher Zeit es in den Dolomiten am schönsten war. Eindeutig war es aber die Jugendzeit von jedem von uns. Wahrscheinlich werden auch die Jungen von heute nach dreißig Jahren sagen, dass es damals in den Dolomiten viel schöner war.
Von Antonio Dimai
und dem Volk der Ladiner
Die Südostwand vom Col Rosà bei Cortina d’Ampezzo war einmal eine berühmte Modetour. Jetzt ist sie schon lange vergessen. Zur Modetour wurde sie vor allem deswegen, weil mit einem Fernglas von Cortina aus jeder Schritt und Tritt eines Kletterers beobachtet (und natürlich bewundert) werden konnte. Sie war eine Renommierwand von anno dazumal. 1899 hatte die Wand der Bergführer Antonio Dimai mit einem Engländer erstmals durchstiegen.
Antonio Dimai hatte in den Dolomiten noch etliche Wände erstmals durchstiegen, die alle sofort Renommier-und Modetouren wurden. Das waren Wände, die als undurchsteigbar galten und für deren Erstbegehung er von ehrgeizigen Leuten einen besonders fetten Führerlohn verlangen konnte.
Die Dimai-Erstbegehungen sahen alle viel schwieriger aus, als sie tatsächlich sind. Bevor Dimai zu einer Erstbegehung loszog, hatte er sie schon mit den Augen durchklettert und wusste dann unter Überhängen ganz genau, wohin er queren musste, um wieder in leichter begehbaren Fels zu gelangen. Quergänge gehören zu einem Dimaiweg wie das Amen zum Gebet. Und damit seine »Erstbegeher« auf Quergängen auch von hinten gesichert sind, nahm er dabei auch meist einen zweiten Bergführer mit. Berühmte Dimai-Quergänge sind die »Menschenfalle« in der Grohmannspitze-Südwand wie auch der große Quergang in der
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