Ein Stueck vom Himmel
Teufl wilder vorgestellt!«, sagte Anderl. Ich mir auch.
Aber das ist das Teuflische an diesem Riss: Er schaut recht harmlos aus und in Wirklichkeit ...
Anderl und ich haben im Laufe unseres Bergsteigerlebens schon viele Risse kennengelernt: Risse, in denen man wie in einer Saftpresse steckt; Risse, in denen nur eine geballte Faust oder ein verklemmter Schuh etwas Halt geben; Piaz-Risse und jede Menge noch andere Risse.
Jedoch: Der saudumme Riss an der Bischofsmütze-Nordostkante ist ohne Gegenbeispiel! Er ist innen zu schmal und außen zu weit! Griffe sind Mangelware und zum Spreizen findet man keinen Gegendruck.
Als ich ihn derpackt hatte, wusste ich selber nicht, wie ich das gemacht hatte.
Diesen kuriosen saudummen Riss gibt es seit dem 22. September 1993 nicht mehr!
An diesem Tag gab es an der Großen Bischofsmütze einen gewaltigen Bergsturz, bei dem ein ganzer Wandteil mit all seinen Kletterrouten einfach abbrach. Unfassbar erschien das vielen, dass an der stolzen Bischofsmütze (wie sie auch genannt wurde) so etwas geschehen konnte.
Etwas anders soll der Hüttenwirt von der Hofpürglhütte reagiert haben. Immer gab es Leute, welche die kurze Zweieinhalb-Stunden-Tour auf die Bischofsmütze machen wollten, die Warnungen des Hüttenwirtes überhörten – und meist von ihm dann geborgen werden mussten. Er soll nach dem Bergsturz gesagt haben: »Das einzig Guate von ihm war, dass er den blöden Riss auch mitgenommen hat!«
Nur eineinhalb Meter Fels ...
Vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden im Fels der Grazer und Wiener Hausberge zwei Erstbegehungen gemacht, die sofort von einem Nimbus umgeben waren: die Dachl-Rosskuppen-Verschneidung (oder »Todesverschneidung«) im Gesäuse, 13. bis 16. Juni 1936, und die Stangenwand-Südostwand am Hochschwab, 24. bis 26. Juni 1938.
Sie waren Höhepunkte im Leben des Grazer Bergsteigers Raimund Schinko (1907–1943), der durch seine außergewöhnlich schweren Neutouren zu einem Pionier des Extremkletterns wurde. Er hatte schon 1936 eine Bewertung von hakentechnischen Schwierigkeiten gefordert und war seiner Zeit voraus.
Trotz einiger Versuche hatten beide Touren bis nach dem Zweiten Weltkrieg keine zweite Begehung. Die Todesverschneidung zu wiederholen wurde zum großen Wunschtraum von uns jungen Kletterern. Auch für mich wurde sie zum großen Ziel. Doch vorher wollte ich noch die zweite Begehung von Raimund Schinkos Stangenwand machen – sozusagen als Generalprobe.
Als Schinko diese Wand erstmals sah, war sie für ihn »ein Bild ohne Gnade, von unnahbarer Schönheit, von ausgemachter Hoffnungslosigkeit für den Kletterer«. Erst Jahre später – nach fünf vergeblichen Versuchen – konnte die Seilschaft Schinko-Sikorovsky-Pschenitschik um Mitternacht des dritten Tages im Schein ihrer Taschenlampen der Wand entsteigen.
Bei dieser Durchsteigung wurde erstmals ein heute von den Extremen oft gebrauchtes Hilfsmittel eingesetzt: eine Biwakbank. Das war zwar nur ein Bündel von eineinhalb Meter langen Holzlatten, die aber richtig zusammengesetzt eine luxuriöse Bank ergaben. Am zweiten Biwakplatz hatte sie die Seilschaft zurückgelassen. Wir fanden sie am Fuß der Wand.
Am 24. und 25. Mai 1947 hatten Leo Kozel und ich die zweite Durchsteigung der Wand gemacht.
Unser ganzer Tourenproviant bestand aus zwei amerikanischen Fischdosen (die eigentlich Hundefutter waren und damals als Nahrungsergänzung an die Bevölkerung ausgegeben wurden). Wir waren daher heilfroh, als durch den 50 Meter hohen Einstiegskamin ein richtiger Sturzbach herabrauschte. »In dieser Wand können wir wenigstens nicht verdursten!«
Wir kletterten automatisch. Unser Denken war ganz und gar auf den 30-Meter-Quergang über uns gerichtet. Einen ganzen Tag hatten die Erstbegeher für ihn gebraucht – und das waren die Leute von der Todesverschneidung.
Der Quergang sah noch schlimmer aus, als wir ihn uns vorgestellt hatten. Bleich und vermodert hing noch das Quergangsseil der Erstbegeher an der glatten Wand (sie hatten es zurückgelassen für den Fall, dass sie in der überhängenden Wand keinen Weiterweg nach oben finden sollten). Wir haben für den Quergang fünfeinhalb Stunden gebraucht, und diese Zeit ist so schnell vergangen, dass wir gar nicht wussten, wohin sie gekommen ist.
Entsetzt hatte Leo aufgeschrien, als ich mich an dem zerfransten Quergangsseil ein Stück weiterhangelte. Erst als ich den Zwischenhaken erreichte, in dem es hing, sah ich, dass es dort nur noch aus einigen
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