Ein Stueck vom Himmel
einem Hochsommer-Wochenende zum Traunstein fuhren, um den Paulikamin mit seinem berüchtigten Ausstiegsloch zu erklettern, hielten uns dort die Leute für verrückt: »Da geht man in den Traunsee baden und nicht auf den Traunstein aufi!« Verrückt: Die Leute hatten Recht gehabt! Und auch das Wetter hatte sich hundertprozentig an die Wettervorhersage gehalten: Der Sonntag wurde zum heißesten Tag des Jahres. Auf jedem anderen Berg hätte uns die Hitze nicht allzu sehr gestört. Wir waren aber am Traunstein und unter uns lag der Traunsee ... und sooft wir in die Tiefe schauten, beneideten wir die Leute, die jederzeit in das kühle Wasser hineinhüpfen konnten. »Nur wir Deppen kräulen da in den heißen Felsen herum!«, knurrte Anderl.
Der Traunsee demoralisierte uns.
An die 600 Höhenmeter Steilanstieg hatten wir schon unter uns. Bald mussten wir den Paulikamin erreicht haben. Er war unser Lichtblick. Sein kühler Kamingrund zog uns an wie eine Oase den Wanderer in der Wüste.
Endlich hatten wir ihn erreicht. Aber er war keine Oase. Im Gegenteil: Es schien so, als hätte sich die ganze den Traunstein umgebende heiße Luft ebenfalls in den Kamin geflüchtet.
Dass der Kamin eine schöne Kletterei ist, haben wir erst nachher festgestellt; als wir in ihm steckten, war es eine sehr schweißtreibende Kletterei. Dann standen wir vor der letzten Seillänge, von der es in der Routenbeschreibung heißt: »Unter riesigen Klemmblöcken durch zum sehr engen und kraftraubenden Ausstiegsloch.«
Wie ein Wurm wand ich mich durch das Loch, immer näher kam ich seinem Rand mit dem Himmel darüber. Jetzt noch ein Klimmzug und ich bin draußen ...
Da blieb ich aber stecken.
Mit den Schultern war ich fest verklemmt – und ich konnte mich drehen oder krümmen, wie ich wollte, und kam um keinen Zentimeter höher. War ich einer von denen, die zu blad oder zu blöd fürs Klettern sind, wie der Gmundner gesagt hatte?
Richtig wütend wurde ich ...und da hörte ich plötzlich die Blasmusik!
Ich war erschrocken. Hatte die Hitze schon mein Hirn zum Kochen gebracht? Hörte ich schon in einem Hitzekoller die Engel singen?
Die feierliche Musik ließ meine Wut verrauchen. Jetzt erkannte ich die Melodie, es war Franz Schuberts »Deutsche Messe«. Jetzt fiel mir auch wieder ein, dass unsere Wirtsleute gestern von einer Bergmesse auf dem Traunstein gesprochen hatten. Tatsächlich waren wir nicht die Einzigen, die an diesem heißen Tag des Jahres den Traunstein erstiegen hatten. Über den Normalweg war sogar eine lange Prozession hinaufgezogen. Und ich hör noch heute die Blasmusik spielen, wenn ich nur an den Traunstein denke.
Damals hatte ich dann nur eine kleine Drehung mit der linken Schulter gemacht und konnte mich wieder bewegen. Ein Klimmzug noch – und ich war draußen aus dem Loch. Anderl wollte wissen, wie ich das auf einmal so schnell geschafft hatte. »Schubert hat mir geholfen!«, sagte ich.
Im Flügelstaub des Schmetterlings
Einmal sind wir auf dem Flügelstaub eines Schmetterlings geklettert. Das war 1968 in der 1400 Meter hohen Ostwand des Gran Sasso (2914 m) in den Abruzzen. Dieser Berg liegt zwar auf der gleichen Höhe wie Rom – aber um die 200 Tage des Jahres liegt auf ihm Schnee. Und diese 1922 erstbegangene »Watzmann-Ostwand der Abruzzen« ist einmalig in ihrer Art.
In dem vom Italienischen Alpenklub 1962 herausgebrachten Führer wird diese Route der Erstbegeher mit dem zweiten Schwierigkeitsgrad bewertet. Doch schon in der Locanda in San Nicola am Fuß des Berges wie auch in der Franchettihütte sagte man uns, dass die Ostwand nur sehr selten begangen wird, weil sie als gefährlich gilt.
Das ist sie. Die Wand beginnt mit einer immer steiler werdenden Graswand, in der es keine guten Standplätze und keine Sicherungsmöglichkeiten gibt. Nach dem Gras erreichten wir ein aus Lehm, Schotter und Reibsand bestehendes Konglomerat.
Zu »echten Felsen« kamen wir erst 400 Meter hoch oben in der Wand. Etwa zehn Seillängen sind es dann hinauf zum Amphitheater, wo es über ein Schneefeld weitergehen soll. Doch das Schneefeld war ein steiles Eisfeld, ohne Eispickel und Steigeisen unbegehbar. Rechts fanden wir einen Felspfeiler als Ausweg – aber das war eine Kletterei im vierten Schwierigkeitsgrad.
Geröstet und gebraten hatte uns die Sonne im unteren Wandteil. Dann gab es auf einmal Wolken am Himmel, und kaum zehn Minuten später wirbelten die ersten Schneeflocken eines beginnenden Schneesturms durch die Luft. Ein
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