Ein Stueck vom Himmel
Augenblick stieß Fritzerl einen leisen Schrei aus und sank zu Boden.
»Was ist denn los?«
Fritzerl hielt sich die linke Schläfe. Blut sickerte zwischen ihren Fingern hervor. Etwas Unvorstellbares war geschehen: Steinschlag von der Seite! Ein (Gott sei Dank nur kleines) Steinchen war von oben gekommen, war aufgeprallt und als Querschläger zu uns am Rande der Schlucht geflitscht. Nur ein Steinchen.
Fritzerl bekam einen Kopfverband, stand aber auf wackeligen Beinen. Wir sollten ohne sie weitersteigen. Das kam für mich nicht in Frage. Schwanda und Ernst sollten ohne uns zum Gipfel steigen. Das kam für sie nicht in Frage: »Wir haben schon so viel miteinander gemacht, also werden wir auch diesen Zapfen miteinander machen!« Eine kleine Weile blieben wir noch hocken, dann begannen wir abzusteigen.
Plötzlich ein donnerartiges Gepolter! In der Schlucht unter der »roten Muschel« war die Hölle los! Nicht nur ein Steinchen (dieses war der Voralarm gewesen), sondern eine, zwei, drei Wagenladungen großer und kleiner Steine zischten durch sie hinab.
Wir alle – oder wer auch immer von uns weitergestiegen wäre – hätten uns jetzt mitten in diesem Steinhagel befunden und hätten wenig Überlebenschancen gehabt.
»Wäre die Fritzi nicht von dem Steinderl getroffen worden, dann hätte heute bei uns schon der Totenhansel ums Eck geschaut!«, formulierte es Schwanda. Und dann sagte er noch, dass es doch nicht so ganz leicht sei, als Bergsteiger alt zu werden. Auch der allerbeste Bergsteiger in der Höchstform seines Lebens und tipptopp ausgerüstet braucht dazu noch ein bisserl Glück.
Als wir wieder zur Biwakschachtel kamen, fielen die ersten Tropfen. Gleich darauf begann es in Strömen zu regnen. »Jetzt glaub ich wirklich, dass uns die Croda Rossa nicht mag!«, sagte Fritzerl. Wir haben keinen weiteren Versuch gemacht, sie zu ersteigen. Vergessen haben wir diesen Berg nicht.
EXTRAVAGANTE KLETTERSTELLEN
Manche Bergsteiger führen eine Berg-Buchhaltung, haben genau notiert, wie viele Höhenmeter sie im Auf- und Abstieg innerhalb des letzten Jahres oder sogar im Verlauf ihres bisherigen Lebens gestiegen sind. Ich weiß nicht, wie viele Höhenmeter ich schon bergauf und bergab gestiegen bin. Ich weiß nur, dass es auch in Tausendmeterwänden nicht die Höhenmeter waren, die mir in Erinnerung geblieben sind, sondern immer nur einige wenige Meter Fels: schöne Kletterstellen wie auch schiache, außergewöhnliche oder extravagante.
Pendelquergang an der Schüsselkarspitze
Nach dem Krieg war es erst 1948 wieder möglich, nach Italien zu reisen. Italien war für uns junge Kletterer nicht das »Land, wo die Zitronen blühen«, sondern das Land, wo in den Dolomiten die Drei Zinnen stehen. Die Nordwand der Großen Zinne war für uns ein Traumziel.
Die Südostwand der Schüsselkarspitze im Wettersteingebirge (Erstbegehung 1934) galt damals als ebenso schwer wie die ein Jahr zuvor erstbegangene Nordwand der Großen Zinne. 1947 fuhren wir in das Wettersteingebirge. Ich wollte an der Schüsselkarspitze-Südostwand feststellen, ob ich auch die berühmte Zinnenwand derpacken könne.
Die Generalprobe in der Schüsselkarspitze-Südostwand hatte geklappt, 1948 durchstieg ich auch die Große-Zinne-Nordwand. Und bei dieser Generalprobe hatte ich als junger Bergsteiger auch eine neue Erfahrung gemacht: Eine ganz schwierige Kletterei muss nicht auch ein ganz großes Erlebnis sein.
Wir hatten in der Schüsselkarspitze-Südwand auch noch zwei andere Durchstiege gemacht: den Spindlerweg aus dem Jahre 1927 und den klassischen Herzog-Fiechtl-Weg aus dem Jahre 1913.
Von diesen drei Kletterrouten war die durch die Südostwand die schwierigste – aber keine einzige Kletterstelle blieb mir in der Erinnerung. Nur an heißen Tagen erinnere ich mich manchmal noch an die Wand ...
Es war ein brennheißer Tag, an dem ich mit meinem Spezl Edi in die Wand eingestiegen bin. Es war so heiß, dass unsere Seile an dem glühenden Fels bald Feuer gefangen hätten. Im Ernst: Unser Durst war groß. Damals gab es noch keine kleinen Kletterrucksäcke. Bei Tagestouren hatten wir daher auch weder etwas zum Beißen noch zum Trinken mit.
Edi kaute aus Verzweiflung Gras. Wo immer aus den Felsen ein Grashalm hervorlugte – er wurde von Edi unbarmherzig ausgerupft! Um einen Grashalm zu ergattern, stürzte sich Edi in halsbrecherische Varianten. Ich wusste zuletzt nimmer, ob mein Kletterpartner wirklich ein Kletterpartner war – oder eine Ziege.
Und das
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