Ein Sturer Hund
ausgesprochen gelungene Abbild seines Konterfeis entstand. Ein Abbild, das übrigens genau jene Todesangst nicht herausstellte, sondern Rosenblüts Gesicht in gelösten und edlen Zügen wiederzugeben verstand. Denn: Die große Kunst ist nie eine entlarvende, sondern immer eine idealisierende. Das wird heutzutage gerne vergessen. Leider.
Nun, Moira Balcon hatte zu lange gewartet. Sie gab auf. Sie schob das Messer von Rosenblüts Hals weg, wodurch zwar die Öffnung in der Haut sich weitete, aber in einem durchaus erträglichen Maße. So gelungen das Porträt auf der Wange auch sein mochte, das Kunstwerk als Ganzes blieb Fragment. Moira Balcon wischte das scharfe Instrument an einem Tuch ab und legte es in einer ungemein langsamen, ausführlichen Weise, zugleich abwesend, traurig, in ihren Schminkkoffer zurück.
Cheng, Mortensen und Dr. Thiel sahen ihr dabei zu, staunend, wie versteinert. Rosenblüt hingegen schien gleich wieder der Alte zu sein. Oder er überspielte auch bloß seinen Schrecken. Jedenfalls zog er wie nebenbei ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und preßte es gegen die Wunde. Dann blickte er an sich hinunter, ob sein Jackett etwas abgekommen hatte. Er bemerkte einen Blutstropfen auf dem Revers, zog mit der freien Hand einen Zipfel des Taschentuchs herab und drückte ihn auf den Jackenaufschlag. So saß er also da und wirkte nicht anders als jemand, der eine notwendigerweise unbequeme Haltung eingenommen hatte. Dann wandte er sich an Dr. Thiel: »Rufen Sie die Kollegen. Ich will nicht, daß unserer Frau Balcon etwas passiert. Denn daß ihr etwas passieren soll, noch hier im Fernsehturm, davon dürfen wir ja nun ausgehen.«
Während Thiel nach seinem Handy griff und ein Einsatzkommando anforderte, blickte Rosenblüt zu Cheng und sagte: »Schön, Sie zu sehen.«
»Es ist beinahe merkwürdig«, erklärte der Detektiv, »daß wir alle in diesem Moment noch am Leben sind.« Und mit wenigen Worten legte er die Geschehnisse der letzten Nacht dar und damit die gegenseitige Lebensrettung, die ihn und Dr. Thiel nun verband. Daß sich freilich die Leiche einer englischen Agentin noch in seinem Büro befand, davon brauchte er nicht auszugehen. Der Secret Service gehörte immerhin zu jenen Organisationen, die, auch wenn sie einmal Mist gebaut hatten, diesen Mist umgehend bereinigten. Wegschafften, was wegzuschaffen war. Die Putzkolonnen der Geheimdienste verdienten den Begriff legendär.
»Etwas derartiges war zu befürchten gewesen«, meinte Rosenblüt. »Allerdings erstaunt es mich, daß sich Dr. Thiel für Sie, Cheng, stark gemacht hat. Ich dachte, er mag Sie nicht.«
»Zuneigung war kein Argument«, fuhr Dr. Thiel dazwischen, während er sein Handy zurücksteckte.
»Was Sie getan haben«, sagte Rosenblüt, »ist Ihre Privatsache. Wenn Sie nach Dienst Detektive retten, bleibt das Ihr Hobby. Klar?«
Dr. Thiel reagierte, indem er kurz seine Lider senkte, um in der Folge zu erklären, er habe veranlaßt, daß der Turm umstellt werde und ein Trupp nach oben komme. Zur Absicherung sämtlicher Etagen. Er habe dies mit einer anonymen Drohung begründet. Freilich werde die Mannschaft versuchen, solange die Sendung laufe, sich im Hintergrund zu halten. Damit keine Aufregung entstehe und Rosenblüt sagen könne, was zu sagen sei.
»Ich hatte nicht vor«, gestand Rosenblüt, »irgend etwas zu sagen. Ich meine, etwas, das Zweiffelsknot betrifft. Und diverse Umtriebe. Wirklich nicht. Solche Enthüllungen besitzen kaum einen tieferen Wert. Zumindest keinen, der unsere Republik in ein Paradies verwandeln würde. Jetzt aber bleibt mir nichts anderes übrig. Neukomm, der Kretin, hat es verdient. Und seine verdammten Engländer. Indem ich rede, schütze ich mich. Hoffentlich. Wenn schon die Welt davon nicht besser wird.«
»Damit schützen Sie uns alle«, sagte Dr. Thiel. »Hoffentlich.«
Während er das sagte, glitt der Kopf irgendeines Fernsehmenschen durch den Spalt des Vorhangs. Es sei an der Zeit. Zehn Minuten bis zur Sendung. Das Mikro sei noch einzurichten. Der Kopf verschwand wieder.
Rosenblüt nahm eine Rolle Wundpflaster und eine Schere vom Schminktisch, schnitt ein langes Stück herunter und zog es sich mit einer Selbstverständlichkeit, als würde er sich ein Gebiß einsetzen über seine Halswunde. Dann stand er auf, vollzog sein berühmtes toxisches Lächeln und sagte: »So will ich denn unter Flemmings Nase treten.«
»Das Porträt!« rief Mortensen, als Rosenblüt sich erhob und auf den Vorhang
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