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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Messer gegen den Hals seines Chefs gerichtet hielt. Und wie um Dr. Thiels Bedenken zu bestätigen, vollzog Moira Balcon samt Rosenblüt und dem Stuhl, auf dem er saß, eine drehende Bewegung zu den drei Männern hin. Bisher hatten sie Rosenblüt nur vom Profil her gesehen, seine rechte Seite. Nun aber, in frontaler Ansicht, erkannten sie, daß sich auf seiner linken Backe ein dunkler Fleck abzeichnete.
    Moira Balcon hatte nichts dagegen, daß die drei Männer näher traten. Natürlich nicht. Balcon war eitel wie alle Künstler. Und wenn etwas sie zutiefst schmerzte, dann war es der Umstand, daß ihre kleinen Kunstwerke immer hinter ihren Tötungen zurückstanden. Es war so gut wie ausgeschlossen, daß ihre Graphiken den Weg in eine Galerie, in ein Museum fanden. Statt dessen landeten sie immer nur in den Archiven der Polizei und Justiz. Und Moira Balcon selbst würde auch nie den unter englischen Künstlerinnen so beliebten Titel einer »Lady« erhalten. Sie fand, daß »Lady Balcon« einfach herrlich klang. Es war vielleicht der größte Wunsch in ihrem Leben, diesen Titel zu tragen, bloß um den musikalischen Klang, der sich daraus ergab, genießen zu können. Aber sie wußte selbst sehr genau, daß dies unmöglich war. Denn obwohl sie diese Auszeichnung verdient hätte, wäre es natürlich skandalös gewesen, eine Frau zur Ordensträgerin des British Empire zu ernennen, dafür, daß sie den Feinden dieses Empire die Schädel abschnitt, um Ritualmorde vorzutäuschen. Das mochte wichtig und richtig sein, notwendig und effektiv, entsprach aber nicht der Leistung, welche ein »Grand Cross in the Orders of Chivalry« üblicherweise nach sich zog.
    Also blieb ihr eine Kunst, die nur wenige zu Gesicht bekamen und die fast immer vom Standpunkt der Angst oder der Kriminalistik aus betrachtet wurde. So auch jetzt. Allerdings kamen die drei Betrachter nicht umhin, eine gewisse Begeisterung für das handwerkliche und künstlerische Vermögen zu verspüren, mit welchem Moira Balcon vorgegangen war. Unter Verwendung eines gut zugespitzten Schminkstiftes hatte sie auf Rosenblüts linke Wange dessen Porträt aufgezeichnet. Eine Backe war nun wahrlich ein schwieriger Malgrund. Trotzdem war es der Engländerin gelungen, mit wenigen sicheren Strichen und einigen verwischten Stellen ein unverkennbares Abbild des Hauptkommissars herzustellen. Wobei erneut auffiel, und klarer denn je, daß Balcons Porträts alles Karikaturistische fehlte, daß keine Überhöhung bestand, außer jener, die aus dem Untergrund beziehungsweise Hintergrund resultierte. Allein darin bestand die Ironie. Der Umstand hingegen, daß dieses Porträt noch stärker als der originale Rosenblüt an das Konterfei Paul Newmans erinnerte, hatte seinen schlichten Grund in einer gewissen Konturiertheit, des geringen Formats wegen.
    Cheng, Mortensen und Dr. Thiel ertappten sich dabei, begeistert zu sein. Weshalb ein jeder wieder einen Schritt zurück trat, wie um dem Reiz des Ästhetischen zu entkommen und sich darauf zu konzentrieren, daß die Zeichnung auf Rosenblüts Wange einem Todesurteil gleichkam.
    Es war erneut Dr. Thiel, der Worte fand. Allerdings Worte von geringer Kraft. »Wem soll das nützen, Frau Balcon?«
    »Ich habe einen Auftrag«, erklärte die Agentin. »Es wäre ungehörig, ihn nicht zu erfüllen.«
    »Unsinn, von einem Auftrag kann keine Rede sein. Zweiffelsknot ist nicht die deutsche Zweigstelle des Secret Service, sondern eine Psychiatrie. Muß ich Ihnen das wirklich sagen? Muß ich Ihnen sagen, daß Sie ein Problem haben?«
    »Ich hatte eines. Das ist richtig. Meine Seele war … ungerade. Aus den Fugen. Aber das ist vorbei. Meine Seele ist gerade. Und es gibt Arbeit, die zu tun ist.«
    »Wollen Sie damit sagen«, fuhr Cheng dazwischen, »man hätte Sie angewiesen, Rosenblüt zu liquidieren? In der üblichen Weise? Hier oben auf dem Fernsehturm?«
    »So ist es. In der üblichen Weise. Und doch mit einer Neuerung. Ich fand die Idee aufregend, Modell und Zeichnung zu vereinen. Kopf und Porträt.«
    »Unfug!« preßte Dr. Thiel hervor. »Hören Sie gefälligst auf, sich einzureden, auf Befehl zu handeln. Wenn Sie nicht anders können, bitte, so muß es eben sein: Töten Sie Rosenblüt! Aber dann besitzen Sie wenigstens das bißchen Courage, sich klarzumachen, daß hinter dieser Tat nicht die geringste Legitimation steht: kein Auftrag, kein Befehl, kein Secret Service, kein British Empire. Kein ehrenvolles Handeln. Nur Mord. Der Mord einer

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