Ein Sturer Hund
Rosenblüts Nähe. Bleiben Sie in der Nähe der Kameras.«
Im Grunde hatte Mortensen das Bedürfnis, sich auf der Toilette einzuschließen. Aber er nickte bloß. Gemeinsam trat man aus dem abgedunkelten Raum heraus. Die Männer bemerkten nicht einmal, daß Moira Balcon ihren Schminkkoffer an sich genommen hatte. Nicht, daß sie etwas plante. Sie hatte ganz automatisch danach gegriffen. Kein Handwerker ließ sein Werkzeug einfach stehen. Auch dann nicht, wenn er kurz zuvor beschlossen hatte, dieses Handwerk aufzugeben.
Im Café herrschte ein Höhepunkt an Aufgeregtheit, ein geradezu fiebriges Ineinandergreifen von Anweisungen, wie dies kurz vor Sendebeginn ein absolutes Muß darstellte. Das Licht der Scheinwerfer verlieh allem und jedem einen metallischen Glanz, der an die Außenhaut des Turmkorbs erinnerte. Die Leute wirkten jetzt nicht weniger künstlich als die Gegenstände. Eine organische Ausstrahlung besaß allein Nela Flemming, die nun mehr denn je einer schönen, großen, roten Pflanze glich. Sie saß auf einem lichtblauen Sofa, das die Form eines Halbkreises besaß, und hatte die Beine übereinandergeschlagen. Ein Stück nackten Knies ragte aus den Schichten dünner Seide heraus. Nur dieses eine Knie. Nicht mehr. Die Vulgarität dieser Frau besaß eine große Leichtigkeit. Und etwas Frommes. Sie war als einzige vollkommen verstummt. Ihr Gesicht hatte sie bereits in Richtung auf die Kamera gerichtet, als blicke sie einem guten Freund entgegen. Dem besten und liebsten unter allen. Und gewissermaßen war die Fernsehkamera ja auch wirklich jenes Objekt, für das Nela Flemming – neben Türmen – die größte Sympathie empfand.
Auf der anderen Seite des blauen Sofas saß Rosenblüt. Irgendjemand war über ihn gebeugt und fummelte an seinem Revers herum. Ob wegen des Blutfleckens oder des Mikros, war nicht zu erkennen. Jemand anders rief nach der verdammten Visagistin. Rosenblüts linke Wange leuchtete. Zu spät. In wenigen Sekunden mußte man auf Sendung gehen. Es würde auf diese eine gerötete Wange nicht ankommen dürfen.
Währenddessen stellte sich Mortensen zwischen zwei Kameras. Er spürte die Wärme, die von all den Gerätschaften ausging. Eine Wärme, die ihm guttat. Er stand da, als gehöre er dazu. Einen Moment dachte er an seine Romane, derentwegen er überhaupt in diese Situation geraten war. Obwohl sie inhaltlich wenig miteinander zu tun hatten, sah er sie als ein Triptychon vor sich. So betrachtet, wäre es unsinnig gewesen, ein viertes Buch zu schreiben und damit die Einheit zu gefährden. Er überlegte ernsthaft, sich zur Gänze dem Geschäft der Tierpflege zu widmen. Das Sitten von Katzen und Hunden und anderen freundlichen Wesen zu professionalisieren. So war er ganz in Gedanken versunken, obwohl in wenigen Sekunden und keine paar Meter von ihm entfernt eine weitere Folge von Flemmings Nase über die Bühne gehen würde.
Bomben und Spatzen
Inmitten schwarzer Dschungeln von Fabriken
Und todgeladner Drähte Kreuz und Quer
Sieht man die Spatzen flattern, nisten, brüten, mausern, picken, Als ob die Welt ein Schutzpark war!
( Lob der Spatzen , Carl Zuckmayer)
Während bereits der Vorspann ablief und eine Stimme aus dem Off den heutigen Stargast Hauptkommissar Rosenblüt als den einzig wirklich charmanten Kriminalisten Deutschlands ankündigte, begaben sich Cheng, Balcon und Dr. Thiel über eine Treppe in das darunterliegende Restaurant. Einige Kellner liefen durch die Gegend und rundeten die Gedecke um eine letzte, geschmackvolle Note ab. Gäste waren keine zu sehen. Der gastronomische Ort würde an diesem Abend allein Nela Flemming und ihrem Team zur Verfügung stehen.
Die drei Personen setzten sich an einen der Tische. Ein Kellner kam herbeigeeilt. Dr. Thiel griff sofort zu seiner Waffe. Zog sie aber nicht, sondern erklärte, er sei der Produzent der Sendung, die gerade ein Stockwerk höher ablaufe. Damit scheuchte er den Angestellten fort.
»Wäre nicht gerade neu«, sagte Cheng, »würde sich ein Killer als Kellner verkleiden. Aber man kann natürlich nicht wissen.«
Dr. Thiel gab keine Antwort, nahm jedoch die Hand vom Griff seiner Waffe. Man saß da, stumm, wartete. Ein weiterer Schnaps hätte gutgetan. Aber die Zeit der Schnäpse war vorbei.
Die Minuten zogen dahin. Dr. Thiel wirkte nun wieder nervös, sah mehrmals auf seine Uhr. Was Cheng dazu animierte, den Zustand seiner Freimaureruhr zu überprüfen. Er atmete auf. Die Bläschen hatten sich zur Gänze aufgelöst.
Weitere Kostenlose Bücher