Ein Sturer Hund
Verrückten.«
»Roßkur«, murmelte Mortensen.
Doch Moira Balcon war bloß ein wenig verwundert. Sie sah Dr. Thiel an, als sei er der Verrückte, als habe zumindest er etwas nicht begriffen. Sie sagte: »Sie irren sich.«
Sie sprach so ruhig, daß Cheng automatisch seine Augen zusammenkniff, als sei die Wahrheit eine kleine Fliege, die im Dunkel des Raums zu erkennen einiges an Mühe kostete. Und doch meinte Cheng die Fliege entdeckt zu haben. Er sagte: »Ich fürchte, es stimmt. Sie hat einen Auftrag.«
»Wozu soll das gut sein, Cheng?« fragte Dr. Thiel. »Weshalb fallen Sie mir in den Rücken?«
Es war nicht Cheng, der antwortete, sondern Rosenblüt, dessen beim Sprechen nach vorn wippender Kehlkopf sich sachte in die scharfe Klinge drückte, ohne daß aber die Haut sich öffnete. So als müsse jedes seiner Worte eine Reihe kleiner, scharfer Hindernisse überwinden, erklärte der Hauptkommissar in stockender Weise, daß es sich wohl tatsächlich um einen Auftrag handle. Allerdings um einen – und dabei schob er seinen Kopf ein klein wenig nach hinten, Moira Balcon zu –, welcher dazu diene, sämtliche Personen, die es zu beseitigen gelte, an einem Ort zu vereinen.
»Sie müssen wirklich verrückt sein, Balcon«, sagte Rosenblüt, »wenn Sie meinen, Sie würden lebend hier herauskommen.«
»Es wird immer zuviel geredet«, erklärte Moira Balcon, und es sah aus, als wollte sie endlich ihr Werk vollenden. Die Haut riß, Blut quoll hervor. Doch es war kein wirklicher Schnitt, bloß ein Öffnen mittels Druck, wenige Millimeter tief.
Rosenblüt sprach nun schneller. Er redete dagegen an, daß die Engländerin das Messer tiefer eindringen ließ. Er sagte: »Überlegen Sie doch, Balcon. Wie ideal. Wir stecken jetzt alle in diesem dummen Turm, Sie und ich, und jetzt auch noch Cheng und Dr. Thiel und …«
»Mortensen«, sagte Mortensen. »Ich bin der Zeuge.«
»Na sehen Sie«, donnerte Rosenblüt und lachte ein Lachen wie aus einer Konservendose. »Sogar Zeuge Mortensen ist anwesend. Ausgezeichnet. Alle endlich vereint. Welch Glück für jene Leute, die so um die Sicherheit ihrer Geheimdienste besorgt sind und die mit gutem Grund angenommen haben, ich würde das Fernsehen dazu benutzen, eine kleine Geschichte über Zweiffelsknot zu erzählen.
Hören Sie, Balcon, Sie haben ein paar unverzeihliche Dinge getan. Einfach zuviel des Guten. Man mordet nicht so in den lieben langen Tag hinein. Callenbachs Therapie hat versagt. Sie aber denken, alles sei in Ordnung, bloß weil man Sie beauftragt hat, mich um einen Kopf kürzer zu machen. Wie in guten alten Zeiten. Ich kann mir vorstellen, wie das abgelaufen ist. Ihre Mittelsleute haben angerufen und Ihnen erklärt, daß es den legitimen Interessen beider Länder entsprechen würde, diesen vorlauten Hauptkommissar aus dem Verkehr zu ziehen. Jemand muß es nun mal tun. Und warum nicht die Beste. Warum nicht jene Frau mit ihrer fabelhaften Porträtkunst, die so bestechend den Mord eines Übergeschnappten vorzutäuschen versteht. Aber was denken Sie, Moira, was passiert, wenn das erledigt ist? Dann sind Sie an der Reihe. Mein Wort drauf.«
»Ihr Wort ist nichts mehr wert«, sagte Moira Balcon.
Das Blut, das aus der kleinen Wunde trat, glitt in zwei Rinnsalen an Rosenblüts Hals hinab. Wie eine Vorhut. Aber dabei blieb es. Moira Balcon tat nicht, was sie hätte tun müssen. Sie hörte in diesem Moment auf, eine Agentin zu sein. Man könnte also behaupten, daß sie von da an nur noch eine Verrückte war, aber keine verrückte Mörderin mehr. Es ist eigentlich schwer zu glauben, daß Moira Balcon sich von Rosenblüts aufgeregter, holpriger Rede hatte überzeugen lassen.
Viel wahrscheinlicher war es, daß ihr eigenes Zögern die Schuld daran trug. Indem sie gezögert hatte, war der Faden gerissen. Und zwar definitiv. Sie hatte es ja kurz zuvor noch selbst gesagt: Es wird immer zuviel geredet. Dabei war sie nie in ihrem Leben unschlüssig gewesen, auch diesmal nicht, als sie daran gegangen war, als Visagistin aufzutreten und Rosenblüt das Messer an die Gurgel zu halten, um ihm in aller Ruhe und ebenso zügig sein Bildnis auf die Wange aufzumalen. Eigentlich war das ihr Meisterstück gewesen. Noch dazu in Anwesenheit der bereits zu Ende geschminkten Nela Flemming, die in einem fort geredet und in keiner Weise realisiert hatte, daß keine zwei Meter entfernt ihr Studiogast in Todesangst verharrte und im Spiegel zusehen mußte, wie auf seiner Wange nach und nach das
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