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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Die Zeiger und das Zifferblatt offenbarten sich so frei und deutlich wie eine Landschaft in klarer Luft. Chengs Zeit war wieder vollständig. Daß diese Zeit auch der allgemein gültigen Stunde und Minute entsprach, daß die Uhr also »richtig« ging, kümmerte ihn gar nicht so sehr. Er war froh um die ungetrübte Sicht. Er hätte auch eine falsche Zeit, die immerhin abzulesen war, gegenüber einer richtigen, die im verborgenen lag, bevorzugt.
    Dr. Thiels Handy klingelte. Es klingelte im Stile Chopins. Dr. Thiel sagte bloß: »Ja« und horchte dann eine Weile zu. Nachdem das Telefonat beendet war, erhob er sich und erklärte: »Wir müssen hinunter ins nächste Stockwerk. Zur Küche. Dort treffen wir unsere Verstärkung.«
    Dr. Thiel fand es an der Zeit, nun doch seine Pistole aus dem Holster zu ziehen. Allerdings praktizierte er weiterhin ein Understatement, indem er die Waffe nicht wie einen Pokal in die Höhe hielt, sondern vor dem dunklen Hintergrund seiner Anzughose baumeln ließ. Seinen Mantel hatte er zwischenzeitlich abgelegt. Auf sämtlichen Etagen war es ungemein warm. Man bewegte sich wie durch ein Terrarium. Was erst recht für die Küche galt. Eine wirklich nette Küche, muß gesagt werden, wenn man die Aussicht bedachte, angesichts derer die hier arbeitenden Personen allerfeinste Speisen zubereiteten. Der Ruf dieser Küche war exzellent. Ihr guter Ruf hatte existiert, bevor auch nur eine einzige Zwiebel geschält, ein einziges Stück Fleisch gebraten worden war.
    Mancher Ruf ergibt sich nun mal noch vor seiner Begründbarkeit. Vergleichbar manchen Kinofilmen, die bereits einen Kultstatus besitzen, ehe sie jemand überhaupt gesehen hat. Ob ein solcher Ruf nun wirklich zu Recht besteht, ist dann eigentlich kaum noch feststellbar. Der Ruf, der Kult, wird ja zu einer Zeit manifest, da das Produkt noch gar nicht rezipiert werden kann. Im Falle von Restaurants hängt dies in der Regel mit Haubenköchen zusammen, denen ihr Ruf vorauseilt und die sich dann quasi in diesen Ruf wie in ein gemachtes Bett hineinsetzen.
    Jemand aus dem Personal trat auf die drei zu. Dr. Thiel entschloß sich diesmal, wohl um die Waffe in seiner Hand zu rechtfertigen, seine wahre Identität preiszugeben. Mit der freien Hand zog er seine Marke und erklärte dem verdutzten Angestellten, demnächst würde eine Gruppe bewaffneter Polizisten auf dieser Etage erscheinen. Es handle sich um eine reine Sicherheitsmaßnahme, nichts, weswegen man sich aufregen müsse.
    »Kochen Sie einfach weiter«, sagte Dr. Thiel.
    Diese Empfehlung ließ Cheng an jene kleinen Orchester denken, die auf untergehenden Schiffen eisern ihre musikalische Pflicht erfüllten.
    Der Angestellte faßte sich am Nacken und kehrte wieder zu seiner Arbeit zurück.
    Tatsächlich dauerte es nicht lange, da öffneten sich die Türen des Fahrstuhls und vier Männer in Schutzanzügen und mit Maschinenpistolen ausgerüstet, stürmten heraus. Der Rest blieb im Lift und fuhr weiter, um auf der Plattform in Position zu gehen.
    Jeder der vier trug einen gepolsterten Helm und hatte ein Mikro vor dem Mund, wie man das von Popstars und modernistischen Telefonierern kannte. Sie wirkten überaus selbstsicher. Nicht so gebückt wie in Fernsehfilmen. Aber auch nicht nachlässig. Männer mit Waffen eben, die sie zu bedienen wußten.
    Einer von ihnen stellte sich vor Dr. Thiel hin. Das Salutieren aussparend, beeilte man sich, die Lage zu besprechen. In diesem Moment passierte es. Es ging natürlich so schnell, wie ungute Dinge nur schnell gehen können, angesichts derer vierundvierzig Sekunden wie eine Zeitverschwendung anmuten. Ein Lichtschein fuhr zwischen die Personen, ein sanfter, fast melodischer Knall folgte, und dann breitete sich rasch dicker, schwarzgrauer Qualm aus. Es war nicht anders, als wenn man mit einem Flugzeug in eine dunkle Wolke hineinflog, bloß daß man eben in keinem Flugzeug saß und dieser Rauch sich auf die übelste Weise in die Atemwege drängte. Geschossen wurde nicht. Es wurde gehustet. Ganz offensichtlich ging es dem Angreifer nicht darum, hier ein Blutbad anzurichten, sondern allein Moira Balcon zu greifen und zu beseitigen. Und wahrscheinlich wäre dies auch gelungen, wenn nicht Cheng eine Geistesgegenwart an den Tag gelegt hätte, zu der möglicherweise nur Menschen in der Lage sind, denen ein Körperteil fehlt und die sich fest vorgenommen haben, nie wieder vor eine Straßenbahn zu laufen. Und die in bezug auf herannahende Straßenbahnen seither über

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