Ein Sturer Hund
Flemming wissen, während sie, den Kopf nach links und rechts schwenkend, ihre beiden Gesichtshälften überprüfte.
»Tut mir leid, nein.«
»Wie ich die Polizei kenne«, meinte Nela Flemming, »ist alles schrecklich geheim. Und Sie wollen mich sicher nicht dabeihaben.«
Dr. Thiel erklärte, den Hauptkommissar auch draußen sprechen zu können.
»Wo draußen?« fragte Frau Flemming.
»Auf der Plattform.«
»Wollen Sie, daß mein Studiogast erfriert?« spottete die Fernsehdame. Und an Rosenblüt gerichtet: »Wir möchten Sie unserem Publikum doch lebend präsentieren, Herr Hauptkommissar, nicht wahr?«
Rosenblüt lächelte gequält. Gequälter ging es gar nicht mehr.
Nela Flemming erhob sich, zupfte ein wenig an ihrem bodenlangen Abendkleid, schien mit der eigenen festlichen Erscheinung durchaus zufrieden zu sein und trat hinaus. Man konnte noch hören, wie sie sogleich einen Schwall von Anweisungen entließ.
Eben wollte Dr. Thiel dazu ansetzen, auch die Visagistin hinauszubitten, da spürte er Chengs festen Griff. Der Detektiv stand nun nicht mehr hinter ihm, sondern seitlich und zog jetzt den Polizisten zu sich, da man von dieser Stelle aus einen besseren Blick auf Rosenblüt besaß. Und damit auch auf das funkelnde Stück Metall, welches an Rosenblüts Hals angelegt war. Es war kein Küchen- oder gar Schlachtermesser, das nun nicht, sondern ein kleines skalpellartiges Instrument, welches wohl nicht nur zur Grundausrüstung von Anatomen, sondern auch von Maskenbildnern gehörte. Einen Hals mit einem solchen Messer zu durchtrennen hätte natürlich eine Menge Mühe bedeutet und auch niemals eine saubere, glatte Arbeit ergeben. Andererseits lag die Klinge dieses Messers so auf dem Hals auf, daß mit einem einzigen raschen Schnitt Rosenblüts Halsschlagader durchtrennt gewesen wäre. Wozu es sicher keine vierundvierzig Sekunden gebraucht hätte.
»Sie sollten das lassen. Es bringt doch nichts«, sagte Dr. Thiel, hob beide Arme leicht an und offerierte die Leere seiner Hände.
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte die Frau, die das Messer an Rosenblüts Hals hielt und dabei in keiner Weise nervös oder gehemmt wirkte. Sie trug ihr Haar kurz und grau. Ein gefärbtes Grau, was man auch sah. Daß man es sah, änderte aber nichts daran, daß die Frau nun älter wirkte. Auch zierlicher, kleiner. Und modischer. Sie war mit einer Art Maoanzug bekleidet, der aus einer Unmenge von kleinen Plastikkugeln gewebt war, die eine cremefarbene, glänzende Oberfläche ergaben. Bei jeder Bewegung pflanzte sich der Glanz wellenförmig weiter. Allerdings rührte die Frau in diesem Moment nichts anderes als ihren Mund, dessen Lippen denselben Farbton von heller Margarine besaßen wie der Anzug, weshalb sie kaum auszumachen waren, die Lippen, sondern bloß das dunkle Loch, das beim Sprechen auf- und zuschnappte. Das Gesicht jedoch war breit wie eh und je. Auch war die Form und Farbe ihrer Augen unverkennbar. Augen, die noch immer den Eindruck von etwas Ausgeschnittenem besaßen. Augen, die ja zumindest Cheng deutlich zu Gesicht bekommen hatte, damals im Zweiffelsknoter Münster. Während dagegen Mortensen die Frau bloß im diffusen Licht von Tilanders Bar und hinter den entfernten Scheiben von Marlocks Wohnung gesehen hatte. Für Dr. Thiel war es überhaupt das erste Mal, daß er ihrer ansichtig wurde. Aber auch trotz der grauen, kurzen Haare begriff er, wen er vor sich hatte.
Moira Balcon sah hinüber zu Cheng und fragte ihn, als hänge davon das Leben des Mannes ab, der sich unter der Bannkraft ihres Messers befand: »Heute ohne Hund unterwegs?«
»Er mag keine Türme, mein Hund. Genauer gesagt, er haßt Aufzüge.«
»Gut so. Ein Hund hat in einem Fernsehturm so wenig verloren wie in einer Kirche.«
»Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein«, meinte Cheng. »Es gab Zeiten, und ich denke nicht, daß diese viel unchristlicher waren als die unseren, da hatten die Leute mehr Spaß an ihren Gotteshäusern. Und kein Haustier mußte draußen bleiben.«
Nicht, daß Cheng wirklich eine Ahnung hatte. Er konnte sich nur vage an ein Gemälde erinnern, auf dem es im Inneren einer Kirche wie auf einem Marktplatz ausgesehen hatte. Cheng war selten darum verlegen, aus seiner Halbbildung heraus etwas zu behaupten. So auch jetzt, in diesem nicht gerade einfachen Moment. Was Dr. Thiel nicht gefiel. Er bat Cheng, gefälligst den Mund zu halten. Offensichtlich hielt er es für unangebracht, einer Frau zu widersprechen, die ein
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