Ein Sturer Hund
Blubbern und Rasseln und Pfeifen aufsteigenden Kaffees zuhörte, von seiner Frau hierhergestellt worden war oder sich bereits an dieser Stelle befunden hatte, als man gemeinsam in die Wohnung eingezogen war. Der Sessel stand da, wie etwa Bäume oder Sträucher dazustehen pflegen, und würde es, solange er seine Funktion erfüllen konnte, auch bleiben. Punktum! Die Spritzer von Dispersion störten dabei in keiner Weise.
Die Küche war gleichzeitig Mortensens Arbeitszimmer. Auf dem Tisch erhob sich globusartig ein Computer, dessen Gehäuse jene kränkliche Färbung besaß, die einem das Gefühl gab, auch Maschinen könnten unter dem stetigen Zerfall roter Blutkörperchen leiden. Und das war ja wohl auch der Fall. All diese Geräte, die den frühen Generationen von Personalcomputern angehörten und noch immer auf irgendwelchen Küchentischen herumstanden, besaßen viel weniger das Aussehen einfach nur alter Haushaltsgeräte oder Büromaschinen, sondern eben jenes humanoide Flair, das man Automaten so gerne zuspricht.
Sieht man ihn an, den siechenden Computer, wird einem schwer ums Herz. Man empfindet Mitleid.
Ein solcher gelbsüchtiger Computer stand also auf Mortensens Küchentisch, eingebettet in Stöße von Papier, die aus Zeitungsausschnitten, zerfledderten Telefonbüchern, Fotokopien, Stadtplänen, den herausgerissenen Seiten alter und neuer Atlanten und dem einen oder anderen Manuskript bestanden. Auf allen diesen papierenen Stapeln lagerten die Körper kleiner toter Insekten. ’
Das war so ein Tick Mortensens, wobei der Tick weder einen wissenschaftlichen noch einen perversen Hintergrund besaß. Mortensen war so wenig entomologisch wie morbid veranlagt. Doch wenn er eine tote Fliege oder Spinne, eine leblose Biene, Hummel, Motte oder ähnliches Getier am Boden entdeckte, so hob er das Körperchen nicht selten auf, um es auf einem der Stöße zu plazieren. Wobei er zusah, nicht mehr als vier, fünf dieser Insekten auf dem Deckblatt des jeweiligen Stapels zu lagern. Mortensen gab den toten Gliederfüßern die Namen jener Romanfiguren, an denen er gerade arbeitete, und ordnete sie in einer Weise an, die auch der Stellung der Personen in der Geschichte beziehungsweise untereinander entsprach.
Welche Figur welchem Insekt zugewiesen wurde, war hingegen eine Frage des Zufalls. Kam eine neue Gestalt ins Spiel und fand sich gerade ein zerdrückter Falter auf dem Boden, ergab sich daraus eine zwingende Verbindung.
So war etwa der voluminöse Herr Jänecke, der den Nachtwächter aus Die Lust , ein Hemd zu bügeln verkörperte und der sich ausgezeichnet als Käfertier gemacht hätte, in Form eines toten Schmetterlings auf der Straßenkarte von Dessau abgelegt worden. Denn so ungefähr in dem Augenblick, da Mortensen die Figur des Nachtwächters in den Sinn gekommen war, hatte er auf dem Fensterbrett die helle Gestalt eines Kohlweißlings entdeckt. Woraus folgte, daß der wuchtige Jänecke als graziler Schuppenflügler durchgehen mußte. Aber warum auch nicht? Schließlich gehörte es zu einer der populärsten Vermutungen, daß in den käferartigen Gestalten schwergewichtiger Menschen oft erstaunlich empfindsame, fragile Seelen steckten.
Übrigens war sich Mortensen durchaus bewußt, daß man eine solche Anhäufung von Insekten in der Küche, so literarisch begründet sie sein mochte, als unappetitlich, gar abartig empfinden konnte, weshalb er seine Gäste prinzipiell aus diesem Bereich ausschloß.
Während er sich den Kaffee eingoß und das Aroma gleich einem schonenden Scheuermittel seinen Geruchssinn anregte, kamen auch die Gedanken zurück, und damit der Eindruck, daß etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Die Bilder des Vorabends tauchten in rascher Folge vor seinem geistigen Auge auf.
Anfangs sah er nur den Regen, dann aber erinnerte er sich an Tilanders Bar , an die streifenförmige Auskleidung des Raums, erinnerte sich an den Mann im silbergrauen und an den Mann im dunkelblauen Anzug sowie an die Frau am Rande der Theke. Breitgesichtig, auf einen bestimmten Punkt starrend, dabei weniger verträumt denn hochkonzentriert. Konzentriert auf eine Weise, mit der sie später, im Schutze eines dunklen Zimmers, wohl mit Thomas Marlock verfahren war. Was noch kein wirkliches Drama bedeutete, wenn man eine persönliche Betroffenheit ausschließen konnte. Denn obgleich Thomas Marlock gerade dabeigewesen war, ein Leser von Mortensens Bücher zu werden, so war der Exitus des Lesers für den Schriftsteller an
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