Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
richtiggehend zu manifestieren. Nein, er durfte sich nicht aufgeben. Noch nicht. Nicht bevor irgendein ekelhafter Polizeimensch ihm sein suspektes Verhalten um die Ohren schmeißen würde.
    Er senkte seinen Kopf und ging an dem Taxi vorbei, wobei er ungewollt seinen Schritt beschleunigte. Doch im Regen, der sich jetzt wieder als Schauer ergoß, hätte der Fahrer nicht einmal zu sagen vermocht, ob hier ein kleiner oder ein großer Mann dahinschritt. Geschweige denn, wie sein Gesicht aussah. Mortensen aber beruhigte sich erst, nachdem er in eine Seitengasse eingebogen war. In welche auch immer. Erneut hatte er seine Brille abnehmen müssen und blickte nun mit halb geschlossenen Augen in das schwarzweiße Geriesel. Er kam in Straßen, in denen er nie zuvor gewesen war. Bloß hin und wieder erkannte er in der Ferne die Umrisse eines Gebäudes, das ihm vertraut war. Er hielt sich in eine bestimmte Richtung und lief ansonsten wie auf einer Schiene, auf der sich wahrscheinlich auch all die Katzen und Hunde bewegen, die – eine halbe Stadt durchquerend – zu ihrem Zuhause zurückfinden. Welches auch Mortensen erreichte.
    Am Rande des Zusammenbruchs betrat er seine kleine Wohnung. Ihm kam es vor, als habe er auf seiner Reise durch den Regen nicht nur sein Gefühl für Zeit, sondern auch das Gefühl in seinen Beinen eingebüßt. Als habe er überhaupt jedes Empfinden zugunsten des Umstandes aufgeben müssen, in der radikalsten Weise von Regenwasser durchtränkt zu sein. Kein Mensch vor oder nach ihm (so seine eigene nachträgliche Darstellung) war sich je so naß, so vollkommen in Nässe aufgelöst vorgekommen wie er. Kein Seemann hatte sich je in einem solchen Zustand befunden, wo ein Mensch kein Mensch, sondern nur noch ein vollgesogener Schwamm war. Weshalb er auch nicht das geringste Bedürfnis verspürte, sich unter eine warme Dusche zu stellen. Es reichte ihm das Dach über dem Kopf. Schnell zog er seine Kleider aus und stopfte sie in die Waschmaschine. Dann schlüpfte er in einen Bademantel, stülpte sich die Kapuze über und kroch unter die Decke, die er auf dem Sofa hingelegt hatte. Er schlief schon lange nicht mehr im Schlafzimmer, welches ihm nur noch als Lagerraum diente. Ein Mann, der alleine war und es auch zu bleiben gedachte, brauchte kein Schlafzimmer. Sehr wohl aber einen Lagerraum.
    Der Schüttelfrost, der ihn überkam, besaß etwas Wohliges, ja Schmeichlerisches. Im Zittern und Frieren und Zähneklappern lag die aufkeimende Beruhigung. Wärme zog in seinen Körper ein. Hin und wieder schob er seinen Kopf unter der Decke hervor und nahm einen Schluck Johannisbeergeist. Der Alkohol machte ihn nüchtern. Nüchtern und gelassen. Derart, daß er eine mögliche Befragung oder gar Verhaftung seiner Person als Chance erkannte. Welche darin bestand, daß man endlich einmal auf ihn als Schriftsteller aufmerksam werden könnte. Um so mehr, als sich seine Bücher in der Tasche des Ermordeten befanden. Was nichts zu bedeuten brauchte, aber in jedem Fall erwähnenswert sein würde. So war das nun mal: Ein Autor, der in einen Mordfall verwickelt war, wurde dadurch natürlich kein besserer Schriftsteller, aber doch ein interessanterer Mensch. Was auf seine Produkte abzufärben vermochte. Das Blut auf den Händen des Autors – oder eben auch nur der Dreck – klebte dann quasi ebenso auf den Büchern. Auf eine hygienisch unbedenkliche Weise.
    Mit dem versöhnlichen Gedanken, daß bei genauerer Betrachtung beinahe alles in der Welt einen Nutzen besaß, schlief Mortensen ein. Und für einen Mann, der noch kurz zuvor einen abgeschnittenen Kopf durch die Luft hatte fliegen sehen, war sein Schlaf ein ausgezeichneter.

Rosegger und der Geist der Freiheit
    Als Mortensen gegen Mittag erwachte, fühlte er sich nicht nur ausgeruht, sondern auf eine ungewohnte Weise auch gesund und kräftig. Weder spürte er den Alkohol noch die Feuchtigkeit und Kälte, die in der vergangenen Nacht seinen Körper belagert hatten. Allerdings hing dieses Wohlempfinden auch mit einer gewissen Leere in seinem Schädel zusammen. Selbst noch, als er in seiner winzigen Küche saß und dem Geräusch der Espressokanne lauschte, die den Kaffee in einer vibrierenden, aufgeregten Weise in sich gebar, selbst da noch war er ohne jeden Gedanken. Angenehm betäubt saß er auf seinem gepolsterten schwarzen Stuhl, auf dem die Spritzer weißer Farbe klebten. Dispersionsflecken, die auch auf Tisch und Herd zu sehen waren. Und vielleicht wäre damit auch gleich die

Weitere Kostenlose Bücher