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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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bestimmten Geburt und Abstammung ins Spiel gebracht. Ihr dominantes Auftreten entsprach vielmehr der Überzeugung, daß es ohne eine gewisse Herbheit, Schärfe und Strenge für eine Frau nicht möglich gewesen wäre, das zwanzigste Jahrhundert seelisch wie körperlich unbeschadet zu überstehen.
    Und jetzt war dieses Jahrhundert vorbei, und sie stand noch immer aufrecht und in jeder Hinsicht unverwundet auf ihren Beinen. Zudem bei klarem Verstand und nicht ohne Lust am Leben, was für sie bedeutete, zu rauchen und zu trinken, gleichermaßen Opernaufführungen wie Eishockeyspiele zu besuchen. Letzteres, weil sie den Anblick »verpackter« Männer liebte. So wie sie es liebte, die Zeitungen des Landes mit Leserbriefen zu nerven und einem Verein zur Förderung des Freidenkertums vorzustehen. Ja, es bestand eine gewisse Ironie darin, daß Frau von Wiesensteig den Titel einer Freifrau trug und gleichzeitig das Freidenkertum zu erneuern suchte, und zwar dadurch, daß sie einen Verein zur Förderung der Freiheit im Kopfe und im Geiste ins Leben gerufen hatte, welcher von einigen Spöttern gerne als Kaffeekränzchen hundertjähriger Marxistinnen abgetan wurde. Das einzige, was daran stimmte, war der Umstand, daß große Mengen Kaffee und dazu passende Schnäpse serviert wurden.
    Weltanschaulich gesehen, spielte jedoch weniger der Materialismus als der Spiritualismus eine Rolle. Auch waren durchaus Männer mit von der Partie. Was genau während dieser Sitzungen geschah, blieb freilich ein Geheimnis. Und auf jeden Fall ging man in Stuttgart gerne davon aus, daß Eila Freifrau von Wiesensteig und ihre Vereinskollegen, die sich Freeplayer nannten, irgendwelche Dinge taten oder zumindest dachten, die den Begriff »ungeheuerlich« verdienten.
    Auch Moritz Mortensen wußte nichts darüber, enthielt sich allerdings der Vorstellung von Ungeheuerlichkeiten. Monismus und ähnliches interessierten ihn nicht. Sein Kontakt zur Freifrau war ein rein geschäftlicher. Sozusagen. Denn trotz seiner finanziellen Unabhängigkeit und seiner Vorgabe, sich nur dem Schreiben zu widmen, trieb ihn eine Art von Selbstverachtung dazu, hin und wieder einer kleinen, verrückten Tätigkeit nachzugehen. Selbstverachtung deshalb, da er mit seinen Büchern kein Geld verdiente. Also bestrafte er sich (auch wenn er dies so nicht ausgedrückt hätte), indem er phasenweise die Betreuung von Haustieren übernahm. Und zwar ohne daß eine große Zuneigung zur Kreatur ihn ausgerechnet in diese Berufssparte gedrängt hätte. Man könnte auch sagen: Sein Haustierpflegertum stellte die zwanghafte Wiederholung seiner Dachdeckerlehre dar.
    »Wie sehen Sie denn aus?« fragte die Freifrau, marschierte an Mortensen vorbei in den Vorraum, trat ins Wohnzimmer, überblickte das Chaos und drehte sich dann zu Mortensen um, der hinter ihr hereingeschlurft kam. Er registrierte jetzt durchaus, daß die lastende Schwere nicht bloß in seinen Beinen lag, griff sich an den Kopf und drückte Daumen und Mittelfinger seiner linken Hand zangenartig gegen die Schläfen.
    »Wir haben einen Termin vereinbart«, erinnerte die Freifrau ihr desolates Gegenüber.
    »Ich hatte eine harte Nacht und einen harten Tag.«
    »Sie sind betrunken«, stellte die Freifrau fest, als verkitte sie ein Loch in der Wand. »Wogegen ich nichts hätte, wenn Sie sich an unsere Vereinbarungen halten würden. Also, was ist geschehen?«
    »Es ist besser, wenn Sie nichts davon erfahren.«
    »Klingt ja abenteuerlich.«
    »Ist aber eher häßlich. Eine saublöde Geschichte.«
    »Na gut, Mortensen. Das ist Ihre Sache, wenn Sie nicht darüber reden wollen. Aber ich hoffe, es bleibt bei unserer Abmachung. Wenn ich Ihnen schon den Schlüssel nachtragen muß.«
    »Natürlich. Es bleibt dabei. Ich ziehe morgen nachmittag bei Ihnen ein.«
    »Zwei Uhr«, bestimmte Frau von Wiesensteig.
    »Zwei Uhr«, bestätigte Mortensen.
    Das Prinzip seiner tierpflegerischen Arbeit bestand darin, daß er die Tiere nicht zu sich nahm, sondern in die Domizile seiner Auftraggeber übersiedelte. In der Annonce, die er in regelmäßigen Abständen in der größten Zeitung der Stadt veröffentlichte, hieß es:
     
    Schriftsteller betreut Ihre Lieblinge! Tierpension ade. Ihr Goldkind braucht auf seine vertraute Umgebung nicht mehr zu verzichten. Solange Sie auf Urlaub oder Geschäftsreise sind, ziehe ich in Ihre vier Wände ein und gewährleiste eine optimale Betreuung von Katzen und Hunden, Vögeln und Kleintieren. Keine Reptilien. Keine Äffchen.

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