Ein Sturer Hund
präziseste Beschreibung von Moritz Mortensens Persönlichkeit gegeben: daß er nämlich zu den Menschen gehörte, die, wenn sie endlich einmal ihre Wände neu streichen, ihre Einrichtung nur unzulänglich oder gar nicht schützen. Dies war weniger ein Ausdruck von Faulheit als von Gedankenlosigkeit. Ja, Mortensen vergaß einfach immer wieder das Naheliegende, das Sinnvolle, das Praktische.
Sein ganzes Dasein war von Umständlichkeiten geprägt. Er hätte doppelt so lange auf dieser Welt sein müssen, um all die Dinge zu erledigen, die ein halbwegs vernünftig handelnder, halbwegs konzentrierter Mensch im Leben unterbrachte.
So hatte Mortensen etwa drei Anläufe benötigt, um die Führerscheinprüfung zu bestehen. Und zwar keineswegs auf Grund von Unfähigkeit oder Nervosität. Beim ersten Mal verschlief er schlichtweg den Prüfungstermin, während es im Zuge eines zweiten Versuchs zu einer völlig unnötigen Diskussion mit dem Prüfer kam. Mortensen beharrte in einer abstrus-eigensinnigen Weise auf der eigenen Auslegung der Verkehrsordnung.
Der Prüfer – ein gutmütiger Charakter – war sogar bemüht, dem vorlauten Prüfling diverse Brücken zu bauen, damit dieser sich aus der Affäre ziehen könne.
Aber Mortensen sah die Brücken nicht. So wenig wie das Unglück, über das diese Brücken hätten führen können. Dem Prüfer blieb gar nichts anderes übrig, als den Kandidaten für gescheitert zu erklären. Denn so gut Mortensen ein Auto zu steuern vermochte, ging es nicht an, daß er die Mißachtung eines Stopschildes – die Abwesenheit anderer Verkehrsteilnehmer und der Polizei vorausgesetzt – als legitim ansah, ja, geradezu als ein Gebot der Vernunft erachtete.
Nun gut, offensichtlich war es so, daß Mortensen diese Erfahrung unbedingt nötig hatte, um sich dann bei seinem dritten Versuch einer unklugen Behauptung zu enthalten. Für die meisten Menschen war das selbstverständlich. Nicht aber für Mortensen, obgleich sein Verhalten in keiner Weise ideologisch begründet war. So wenig, wie es aus einer Vorliebe für Aufsässigkeiten resultierte. Sondern einfach nur seiner Gedankenlosigkeit entsprach, seiner Vergeßlichkeit und seinem zeitweiligen Unvermögen, sich zu konzentrieren. Solcherart war sein Leben zu einer zeitraubenden, von Umwegen beherrschten Angelegenheit geworden.
Die Farbflecken auf seinem Stuhl, und wo sie sonst noch auftauchten, waren da das geringste Problem. Zudem fielen sie Mortensen auch gar nicht auf. So wenig wie die gesamte Einrichtung. Es genügte ihm, daß er in seinen Romanen die Wohnungen der Akteure mit großer Detailverliebtheit beschrieb, sich um die Gestalt von Vasen, Lampen und Aschenbechern kümmerte, die Eigenart von Möblierungen herausarbeitete, in die Bücherregale der Bewohner blickte, in ihre Schränke, in ihre Schlafzimmer und Duschkabinen, die Wahl ihrer Teppiche und Hi-Fi-Anlagen beurteilte.
Ja, Mortensen besaß tatsächlich die Unart, gewissermaßen in die Wohnungen seiner Figuren zu treten, um mit dem Finger über die oberen Kanten der Türstücke zu streichen und sodann die Bewohner als Pedanten oder Ferkel zu entlarven. Auch bemühte er sich stets, die Atmosphäre eines Raums auf den Punkt zu bringen. Die Farbe und den Klang zu bestimmen. Den Geruch und die »Religion« dieses Raums. Wobei er gerne von Wohnungen als von »tapezierten Taucherkugeln« sprach, in die sich die Menschen vor einer lebensfeindlichen Umwelt flüchteten. Um dann freilich auch in der Geborgenheit dieser Taucherkugeln einiges auf den Deckel zu bekommen.
Bei Mortensens Figuren handelte es sich um Charaktere, die, ob vermögend oder nicht, ihre Einrichtung betreffend eine gut überlegte Wahl trafen. Die also nicht den nächstbesten Sessel in ihr Zimmer stellten, sondern einen ganz bestimmten, quasi eine Signatur von einem Stuhl. Dieser mochte elegant oder ausgefallen sein, die Rühr-mich-nicht-an-Qualität einer Skulptur besitzen oder auf eine wunderbare Weise schäbig oder gar scheußlich wirken, in jedem Fall suchten diese Menschen ihre Stühle so aus, wie sie sich auch ihre Partner, ihre Tiere oder die Kunst für ihre Wände aussuchten.
Mortensen selbst hingegen war jemand, der aus der Fähigkeit, zwischen zwei Stühlen zu unterscheiden, nicht die geringste Konsequenz zog. Er wählte nicht einen speziellen Stuhl aus, sondern nahm eben den, der sich anbot, weil er schlichtweg vorhanden war. Mortensen hätte nicht sagen können, ob der schwarze Sessel, auf dem er jetzt saß und dem
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