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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Greensburg leben. Dann wäre alles auf dieser Welt eine Attraktion.«
    »Vielleicht«, meinte Eila und betrachtete Mortensen voller Skepsis. Sie war es nicht gewohnt, daß er ihr gegenüber eine Meinung von sich gab. Weshalb sie jetzt fragte: »Fühlen Sie sich wirklich in der Lage, April zu betreuen? Ich kann den Kongreß auch absagen. Sie haben ja recht, in Frankfurt muß man nicht gewesen sein. Im Grunde ist das eine fürchterliche Stadt. Die Banalität einer einwöchigen Buchmesse scheint das gesamte Jahr zu prägen. Die Leute, die Häuser, alle sehen aus wie Bücher: flach und viereckig. Wie auf einem Cartoon.«
    »Nein«, wehrte Mortensen ab, »fahren Sie nur. Sie wissen doch, was für ein Liebespaar April und ich sind.«
    »Ja, ja«, meinte sie abschätzig, ließ jetzt endlich den Schlüsselbund in Mortensens Hand gleiten und erkundigte sich, nachdem sie nochmals das Zimmer betrachtet hatte: »Wollen Sie nicht doch, daß ich Ihnen die Burschen vom Service mal vorbeischicke?«
    »Ich fühl mich wohl!« sagte er, und zwar mit ungewohnter Schärfe, so daß Frau von Wiesensteig ihre Arme abwehrend hob und versprach, nie wieder ein solches Angebot zu machen.
    Mortensen brachte die Freifrau zur Tür und sah ihr nach, wie sie langsam die Stufen hinunterschritt. Es war nicht so, daß man ihr das Alter nicht angemerkt hätte. Aber sie verstand es ausgezeichnet, es zu tragen, ihr Alter. Etwa so, als führe sie etwas Unhandliches, aber durchaus Hübsches spazieren.
    Nachdem er die Tür wieder versperrt hatte, wankte Mortensen zurück zur Couch, zappte durch das Fernsehprogramm und überließ sich schließlich irgendeiner fiebrigen Abenteuerkomödie. Während er den einen oder andern Schluck aus der Flasche nahm, sah er Flugzeuge explodieren und Menschen Sprüche klopfen. Egal was geschah, egal wie schlimm es zuging, für einen verbalen Hechtsprung schien immer Zeit. Selbst noch mit der Pistole im Nacken oder der Faust im Gesicht oder fremden Lippen auf dem Mund, zwang es die Akteure zu ulkigen Bemerkungen. Ihre Sprüche waren wie die Marmelade, die zwischen zwei zusammengepreßten Brotscheiben hervorspritzt, auf den Boden tropft und eine klebrige Spur hinterläßt.
    Einmal, als Mortensen bereits halb eingenickt war, meinte er zu hören, wie ein Mann zu einem anderen sprach: »In Greensburg möchte ich nicht begraben sein.«
    Der Gegenüberstehende antwortete: »Ehrlich gesagt, möchte ich nirgends begraben sein.« Dann schoß er. Sein Lächeln glänzte.
    Mortensen schreckte auf. Hatte er sich das nur eingebildet? Greensburg? Er sah sich jetzt äußerst konzentriert den Film bis zum Ende an. Der Name Greensburg jedoch fiel nicht wieder. Er machte Licht und Fernseher aus, legte sich hin und fiel in eine weitere Etappe seines vom Alkohol patinierten Schlafs.
    Als er erwachte, war es kurz nach sieben. Zwischen den weißen Lamellen der Jalousie zeichnete sich das Schwarz des jungen Tages ab. Ein Zebra von einem Tag. Mortensen blieb noch eine Weile liegen, dann trat er ins Badezimmer, welches der winzigste von all den winzigen Räumen dieser Wohnung war. Ein fensterloses Kabuff, dessen Entlüftung allein durch einen Spalt in der Tür erfolgte, einen ungeschickt herausgesägten Einschnitt. Um nur ja keinen Beitrag zur Verkleinerung auszulassen, war eine Zwischendecke in den Raum eingezogen worden, in dieses Räumchen mit Toilette und Duschkabine. Paula hatte von der Dusche als von ihrem »Sarg« gesprochen.
    Das angesichts der Verhältnisse viel zu große Waschbecken war so gelegen, daß man sich am Beckenrand vorbei in die Kabine zwängen mußte. Moritz Mortensen hatte von seinen Körperproportionen her die absolute Grenze dessen erreicht, was durch diesen Zwischenraum mit Mühe hindurchpaßte. Ganz gleich, ob er ein wenig in die Knie ging oder sich auf die Zehenspitzen stellte. Doch so eng und stickig es hier auch war, handelte es sich dennoch um jenen Ort, an dem Moritz und Paula ihren größten Spaß gehabt hatten. Zusammengepfercht in diesem räumlichen Beinahe-Nichts, war es ihnen vorgekommen, als seien sie völlig getrennt vom Rest der Welt. Gleichsam in einer anderen Dimension. Und was auch immer sie in dieser Badezimmerdimension getrieben hatten – Sex oder reden oder beides – es war ihnen um einiges gelungener und erfreulicher erschienen als der Sex und das Gerede außerhalb ihrer »Familiengruft«. Genaugenommen war dieser Raum der einzige gewesen, an dem sie sich halbwegs wohl gefühlt hatten – miteinander und

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