Ein Sturer Hund
sein Dienstgeber die Polizei benachrichtigt , welche in die Wohnung eindrang und den Ermordeten entdeckte . Nach Angaben des Polizeisprechers war der Kopf des alleinstehenden Computerfachmanns mit einem » hierfür geeigneten Instrument « vom Rumpf getrennt und vom Täter in einem im Wohnzimmer befindlichen Aquarium versenkt worden . Eine derartige Vorgangsweise , erklärte der Polizeisprecher , würde die Tat als einen Ritualmord erscheinen lassen . Derzeit untersuche man die Parallelen zu ähnlich gelagerten Fällen . Noch müsse man aus sicherheitstechnischen Erwägungen den Namen des Mordopfers geheimhalten . Bisherige Befragungen hätten zu keinerlei Hinweisen auf die Tatperson geführt . Man gehe jedoch davon aus , daß zwischen Täter und Opfer keine persönliche Beziehung bestanden habe . Vielmehr vermute man eine Zufallsbekanntschaft . Weshalb die Polizei die Bevölkerung zu erhöhter Vorsicht aufrufe . Auch sei geplant , in den nächsten Tagen mit weiteren Informationen zur Person des Ermordeten und den Umständen des Verbrechens an die Öffentlichkeit zu treten .
»Was soll’s«, sagte der andere Gast, »da hat ein Schwuler einen anderen gekillt. Ich kenn’ die Schwulen. Lauter eifersüchtige Hysteriker. Die sind schnell dabei, wenn’s ums Zerstückeln geht. Das steckt in denen drin. Ich würd’ einem Schwulen nie auch nur eine Heckenschere in die Hand drücken.«
»Dir sollte auch einer den Kopf abschneiden«, erklärte die Frau, mit einem Mal hellwach.
»Du bist der Würfelzucker in meinem Leben«, meinte der Mann lächelnd. »Zuckersüß!«
Die Frau hob einen flehenden Blick gen Himmel. Der Mann hingegen schien jetzt bester Laune, als sei vor allem die Nachricht vom Tod eines Menschen geeignet, seinen Tag zu versüßen. Er richtete sich mit einem kurzen Ruck zur Seite an Mortensen und fragte ihn, was er von der Geschichte halte.
»Zahlen«, sagte Mortensen rasch.
»Was ist?« fuhr ihn der andere an. »Kriegst du weiche Knie, bloß weil irgendeiner in dieser Stadt seinen Kopf verloren hat?«
»Laß meine Gäste in Frieden«, sagte die Frau und kassierte.
»Leichenblaß!« höhnte der Mann hinter Mortensen her. »Sieh dir das an. Der Kerl ist leichenblaß. Manche Leute halten gar nichts mehr aus. Die kriegen einen Magendurchbruch, wenn irgendwo auf der Welt wer verhungert.«
»Das kann dir nicht passieren, was?« meinte die Frau hinter der Theke. Gleichzeitig drückte sie die Starttaste des Kassettenrekorders. Eine Männerstimme, die den Reiz von etwas Stillgelegtem, Verfallenem besaß, erklang und besang den Junimond. Die Frau verlor die Härte aus ihrem Gesicht und war nur noch ein sentimentaler Strich im Raum. Der Gast hingegen verlor seinen Mut und versank in der Betrachtung der gegenüberliegenden Flaschenreihe.
Und was hatte Mortensen in diesem Moment aufgeben müssen? Nun, in jedem Fall die Hoffnung, mit einer Wahnvorstellung davongekommen zu sein. Er war nicht paranoid, nein, er war vielmehr jemand, dessen verdammte Bürgerpflicht es gewesen wäre, in die nächste Polizeistation zu treten, um zu berichten, was er gesehen hatte. Tat er aber nicht. Wie auch hätte er die große Verzögerung erklären sollen? Abgesehen von allem anderen.
Zwei Uhr – so hatte die Anordnung Frau von Wiesensteigs gelautet. Es war also noch zu früh, um hinauf zum Roseggerweg zu fahren. Ziellos und frustriert bewegte sich Mortensen durch die Stadt, sah in die Auslagen der Geschäfte, als blicke er in Käfige. Es war bedeutend kälter geworden, winterlich. Ein Wetter, das – so die Nachrichten – aus Rußland komme. Was wiederum so geklungen hatte, als wollte jemand sagen, daß wenigstens noch die Kälte hin und wieder aus Rußland komme.
Mortensen fror in den Füßen, der viel zu leichten Schuhe wegen, an deren dünner Lederhaut gewissermaßen der russische Winter klopfte. Bloß darum kehrte er in eine Imbißstube ein und stand dann eine ganze Weile vor seiner Currywurst und den mit Ketchup und Majonäse drapierten Pommes frites. Mit einem fingergroßen Dreizack stocherte er in dieser fett- und farbenreichen Anhäufung herum.
Auch hier tönte ein Radiogerät. In den ausführlichen Mittagsnachrichten war nicht viel Neues über den Mord zu erfahren, nur, daß die Polizei eine mögliche Verbindung zu einem Fall überprüfen würde, der drei Jahre zuvor in Heidelberg geschehen war. Auch damals hatte ein abgetrennter Schädel eine Rolle gespielt. Der Kopf des Heidelberger Opfers war in dessen Wohnung –
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