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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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wiederum der Grillparzerweg mündete. Eins das andere bedingend. Das österreichische Dreigestirn war an dieser Stelle schlichtweg ein irdisch-kosmisches Ereignis, ein in sich stimmiges Phänomen der Natur, wenn auch jener bürokratischen Natur, deren Aufgabe es ist, den Straßen der Stadt Stuttgart merkbare Namen zu verleihen. Auf jeden Fall paßte für Mortensen alles sehr gut zusammen: die alte Villa, das alte Papier aus Wien und die namentliche Präsenz einer österreichischen Dichtersonne. Gelesen hatte er freilich noch nie etwas von Rosegger. Aber wer braucht schon die Chemie einer Sonne zu begreifen, um sich in ihrem Licht zu baden.
    Es war keineswegs so, daß er den Mord vergessen hatte. Aber er bemühte sich, einfach nicht daran zu denken. Nicht zuletzt mit dem Argument, sich gar nicht sicher sein zu können, wieviel davon auf Einbildung beruhte. Auch überlegte er, daß, wenn überhaupt etwas einen Wert besaß, um darüber nachzudenken, es der Zustand seiner Nerven war, die Überreiztheit, die sich in den letzten Monaten seiner bemächtigt hatte. Dazu kam, daß er viel zuviel trank, sich viel zuwenig bewegte, hin und wieder von Kopfschmerzen geplagt wurde, und vor allem, daß er Züge einer leichten Paranoia an sich entdeckt hatte. Immerhin war es ihm in diesem Moment um einiges lieber, sich selbst einer Wahnvorstellung zu bezichtigen, als daran zu glauben, er hätte tatsächlich die aquaristische Behandlung von Thomas Marlocks abgetrenntem Schädel beobachtet.
    Also beschloß er, demnächst seinen Hausarzt aufzusuchen und das Problem anzusprechen. Wer war nicht ein klein wenig paranoid? Derartiges gehörte zum Leben. Und es war eigentlich nur wichtig, die Krankheit in Grenzen zu halten. Selbige nicht über das gängige Gefühl des Verfolgtseins durch Behörden, Nachbarn und Geheimdienste hinauswachsen zu lassen. Ein paar Tabletten, eine Therapie, irgend etwas, was einem half, das Auftreten von Alpträumen auf die Zeit zu beschränken, da man auch tatsächlich schlief.
    Er schenkte sich einen zweiten Kaffee ein, griff nach einem schwarzen Filzschreiber und schrieb einige Sätze auf das gelbe Papier. Sätze, die den Beginn eines neuen Romans bildeten, den er Schießübungen oder Das kurze und das lange Leben der Schwestern Weigand nennen wollte. Und zwar ohne daß er eine wirkliche Geschichte, einen Handlungsablauf parat gehabt hätte. Er sah bloß diese Schwestern vor sich, beide in ihren Zwanzigern, während das Jahrhundert sich in seinen Sechzigern befand. Geschwister, die unterschiedlicher nicht sein konnten und die gemeinsam das Haus am Roseggerweg bewohnten. Er wußte noch nicht einmal, welche von den beiden das kurze und welche das lange Leben leben würde. (Daß sich Frau von Wiesensteigs Schreibverbot auch auf die Villa bezog, schloß Mortensen aus. Zumindest konnte er sich nicht erinnern, daß von einer solchen Einschränkung die Rede gewesen war.)
    Mortensen nahm ein paar Skizzierungen vor und verlieh den Schwestern eine vage Gestalt. Man könnte auch sagen, daß er bloß den Schatten schuf, den eine Schwester auf die andere warf.
    Nachdem dies erledigt war, begab er sich ins Schlafzimmer und packte eine kleine Reisetasche. Viertel nach zehn verließ er seine Wohnung und fuhr ins Zentrum der Stadt, wo er in eine Kneipe ging, sich an die Theke stellte und ein Glas Rotwein bestellte. Zusammen mit einem zweiten Mann bildete er die gesamte Kundschaft.
    Die Frau hinter der Bar sah aus, als schlafe sie im Stehen und mit offenen Augen. Der Mann redete auf sie ein, ohne sich um Mortensen zu kümmern. Welcher sich wiederum wie jemand vorkam, der ausgerechnet mit einem zerstrittenen Ehepaar auf eine einsame Insel geschwemmt worden war. Weshalb er es beinahe als ein Glück empfand, daß Musik aus dem Radio plärrte und die Stimme des Mannes dämpfte.
    Bereits nach diesem einen Glas spürte Mortensen jene Leichtigkeit, die ihm helfen würde, dem gerade angelaufenen Wintertag mit der nötigen Gelassenheit zu begegnen. Aber das war ein Irrtum. Die volle Stunde war erreicht, und im Radio wurden die Nachrichten gesprochen. Dinge waren geschehen, in Berlin, in Tokio und Brüssel. Dinge, groß und speckig wie Walrosse. Nichts, was die drei Personen, die vor und hinter der Bar standen, irritieren konnte. Dann aber:
    Stuttgart – In einer Wohnung im Stuttgarter Osten wurde gestern Mittag die Leiche eines vierundzwanzigjährigen Programmierers aufgefunden . Nachdem der Mann nicht zur Arbeit erschienen war , hatte

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