Ein Sturer Hund
auch alleine.
Daran hatte sich für Mortensen nichts geändert. Er liebte es, sich in der »Gruft« aufzuhalten. Trotz der Wehmut, die ihn hier öfters überkam. Was freilich damit zusammenhing, daß noch immer Paulas Zahnbürsten im Becher lehnten und ihre feierlich aufgereihten Parfüms geradezu ein Sittenbild der Achtzigerjahre entwarfen. Sogar eine angebrochene Packung Binden moderte vor sich hin. Sowie eine transparente Badehaube, die gleich dem Fragment einer Häutung von einem in die Wand geschlagenen Nagel hing.
Während sich Mortensen vor dem Spiegel die Zähne putzte, dachte er, daß er Paulas Sachen längst hätte wegschmeißen müssen. Es nützte ja nichts. Sie würde nicht zurückkommen, bloß weil ihr Nagellack noch immer auf dem staubigen Brett stand. Nicht wegen eines zehn Jahre alten Nagellacks. Und auch sonst nicht. Ohnehin war es keine erbauliche Vorstellung, Paula könnte aus ihrem Tod wieder auferstehen.
Am Ende der Beziehung war selbige alles andere als vergnüglich gewesen, und keiner der beiden Eheleute wäre zu dieser Zeit auf die Idee gekommen, gemeinsam die »Gruft« oder gar den »Sarg« betreten zu wollen. Was an einigen Tagen, wenn sie gleichzeitig aufgestanden waren, um ins Badezimmer zu stürmen, zu Reibereien geführt hatte. Reibereien, die auch hin und wieder in Handgreiflichkeiten übergegangen waren. Wobei jedoch keiner von ihnen nachträglich viel Wind um die eine oder andere Rempelei gemacht hatte.
Was auch immer Paula an gewichtigen Argumenten gegen ihren Gatten eingefallen war, niemals jenes, er sei ein Schläger. Auch war es ja nicht so gewesen, daß man sich tagtäglich an die Gurgel gesprungen war. Die Attacke – ein fester Griff an Arme oder Schultern, ein Beuteln und Zerren – hatte als die letzte Stufe in einem Ritual fungiert. Und wie es sich für ein Ritual gehörte, waren Paula und Moritz bereit gewesen, sich an unausgesprochene Regeln zu halten. Einmal, um zu verhindern, daß die jeweilige Rempelei über das Produzieren blauer Flecken hinausging. Und dann, um eine gerechte Verteilung dieser blauen Flecken zu gewährleisten. Denn in einer beinahe schon mysteriös zu nennenden Harmonie war das Austeilen und Einstecken auf beiden Seiten gleich groß gewesen. Und so sehr man die Gewalt in einer Partnerschaft ablehnen mag – und auch Mortensen hielt sie kaum für das richtige Mittel –, hatte diese Ausgeglichenheit den Charakter einer durch und durch wahrhaftigen und in dieser praktischen Konsequenz seltenen Gleichstellung von Mann und Frau besessen.
Nachdem er die Zähne schnell geputzt hatte, drückte Mortensen sich am Beckenrand vorbei in die Duschkabine, um sich nun um so ausführlicher mit heißem Wasser zu besprühen. Der dunkle Pelz auf seiner Brust hing ihm wie eine Anordnung plattgedrückter Zapfen von der Haut. Überhaupt war er stärker behaart, als ihm lieb war. Aber dagegen ließ sich nun einmal nichts machen. Zumindest nichts Sinnvolles. Die Haare auf seiner Brust, dachte Mortensen jetzt, würden noch am Wachsen sein, wenn er schon tot wäre. Seine Brusthaare würden ihn überleben. Das deprimierte ihn ein klein wenig.
Geduscht, getrocknet und die Augenbrauen mit einigen Tropfen Rasierwasser glattgestrichen, zog er sich eine schwarze Hose und einen schwarzen, dünnen Pullover über und ging in die Küche, wo er sich seinen obligaten Espresso zubereitete. Minuten später, das dunkle, beinahe sandig schmeckende Extrakt schlürfend, kramte er in einer Tasche, aus der er ein Bündel unbeschriebener Papiere herausnahm, die er für seine handschriftlichen Notizen nutzte. Es handelte sich um alte, in der Mitte geknickte Blätter, die einem Herrn Josef Miretzky als Briefpapier gedient hatten. Jeweils in der rechten oberen Ecke befand sich der in Fraktur gehaltene Briefkopf, welcher Miretzky als einen Verwaltungs-Oberdirektor auswies, dessen Adresse im achtzehnten Wiener Gemeindebezirk gelegen hatte.
Mortensen konnte sich nicht erinnern, wo und wie er an den Packen vergilbten Papiers gekommen war. Denn in Wien war er nie gewesen. Auf jeden Fall liebte er diese Bögen. Und benutzte sie vor allem dann, wenn er in Frau von Wiesensteigs Villa arbeitete, die er auch gerne »Roseggervilla« nannte, obgleich die Besitzerin wenig für den steirischen Dichter übrig hatte und Rosegger nie in diesem oder einem der benachbarten Häuser gewesen war. Natürlich nicht. Roseggerweg hieß dieses kurze Stück ja nur, weil es mit der Anzengruberstraße zusammenstieß, in die
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