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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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verkauft …« Er brauche selbst noch ein paar Sachen, sagt er wieder, und ich könne ihn gern auf seinem Spaziergang über den Markt begleiten.
    »Liebend gern«, antworte ich. Und schon stürzen wir uns, vorbei an Horden schnatternder spanischer Omis, die mit strenger Kennermiene die feilgebotene Ware überprüfen und ihr Revier behaupten, ins Getümmel.
    Los geht’s beim Fisch, wo Xavi ordentlich zulangt, unter dem wachsamen Jean-Gabin-Blick des Chefs, der schnaubend einen Thunfisch mit einem gigantischen Messer zerlegt. Almejas, Lubinas, Calamares, Merluza, also Muscheln, Wolfsbarsch, Tintenfisch und Seehecht … Ich habe mich früher nie getraut, allein einkaufen zu gehen, weil ich immer dachte, man würde mich übers Ohr hauen. »Merk dir einfach die Stände«, rät mir Xavi. »Wo wir hingehn, bescheißen die nicht.«

    Auf dem Markt kennt sich Xavi tatsächlich bestens aus. Sein Kumpel Cuspi arbeitet schon seit siebzehn Jahren dort – und hält Xavi über die Tragödien und Intrigen auf dem Laufenden. In diesem Mikrokosmos mit seinen eigenen Gesetzen und Regeln muss man sich auskennen. Denn nur so bekommt der Kunde die beste Ware.
    »Der Fischkopp und seine Alte, bei denen wir grade waren, haben verdammt miese Laune. Ist dir das auch aufgefallen?«, fragt Xavi. »Ist eine schlimme Geschichte«, sagt er. Und dann legt er los.
    Die finstere, hasserfüllte Visage habe der Typ nur deshalb, weil er herausbekommen habe, dass seine Frau Marilo mit dem Gemüseheini … Na, Sie wissen schon.
    Daraufhin habe sich der Typ namens Josetxu eine Schrotflinte bei seinem Kumpel von der Wurstabteilung geborgt und diese mit gepressten Salzpatronen gefüllt.
    »Salzpatronen?«, frage ich.
    »Ja, nach guter, alter Sitte. Früher wurde damit auf den Dörfern rumgeballert, wenn du jemanden nicht gleich umbringen, sondern vernünftig ärgern wolltest. Denn die Scheiße tut höllisch weh. Da hast du wochenlang Freude dran!«
    Es sei in aller Herrgottsfrühe passiert.
    Josetxu wusste, dass Jacinto immer einer der Ersten auf dem Markt ist. Jacinto wiederum freute sich auf einen neuen, aufregenden Tag. Auf das verbotene Herumschleichen um Marilo um die Mittagszeit rum, auf die verstohlenen Blicke, wenn ihr Mann Josetxu kurz abgelenkt war, auf ein Lächeln von Marilo, das trotz eines fehlenden Schneidezahns so süß daherkam wie Palmenhonig – und, klar, auf die geheimen Zeichen gegen Abend: Jacinto, den sie alle nur Puerro nennen, »Lauch«, hängte an seinem Stand gerade eine ebensolche Stange auf, um seiner Angebeteten zu signalisieren, dass er Zeit für sie habe, dass sie zu ihm in seine kleine Wohnung in der Calle Verdi kommen könne, wo er eine Flasche Moscatel öffnen würde, und dann, ja dann …
    … bemerkte er, wie Josetxu um seinen Stand herumschwirrte.
    »¡Ey Puerro, buenos días!« »Hey, du Lauchstange, guten Morgen!«
    Doch in der Sekunde, in der er sich umdrehte, verspürte er auch schon einen Höllenschmerz. Einen ersten Schuss in den Bauch. Einen zweiten auf den Oberschenkel. Ganz langsam bewegte sich Josetxu auf ihn zu: »Du hast dich mit dem Falschen angelegt, Puerro , das nächste Mal nehm ich andere Munition, und dann werd ich dir deine Träubchen wegblasen. Verstanden?«
    Mit angewidertem Gesicht habe er ihm seinen Zigarettenstummel zwischen die Beine geschnippt und sich aus dem Staub gemacht. Jacinto wiederum fasste sich, ein Häufchen Elend, mit zitternder Hand ans Herz. Zurück in seiner Fischbude hat Josetxu seitdem kein Wort mehr mit seiner Frau gewechselt.
    »Doch diese Leute lassen sich nicht scheiden, die sind aufeinander angewiesen, was willste machen?«, sagt Xavi. Dann stehen wir vor dem Stand des Markt-Casanovas.

    Hinter Früchte- und Gemüsebergen hat sich ein kleines Männlein verschanzt, dem man ansieht, dass er jeden Moment einen neuen Anschlag auf seine Person fürchtet. Mit dünnem Stimmchen fragt er zaghaft, was wir wollen. Xavi erläutert ihm meine Bohnenproblematik, und der arme Jacinto, der vor Wochen sicher noch voller Stolz darüber, bei einem so speziellen Wunsch aushelfen zu können, ein beschwingtes »Na klar« von sich gegeben hätte, stammelt jetzt bloß leise: »Mal schauen.«
    Während wir warten, zeigt Xavi auf die frischen calçots, eine Art Frühlingszwiebeln, die mir sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Mmmmh, calçotada ! Wie köstlich!
    Nur die wenigsten Menschen wissen überhaupt, was eine calçotada ist: Selbst in Madrid haben bestimmt neunzig Prozent

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