Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Zum allerersten Mal. Der Schnee fehlte mir und der Geruch nach Spekulatius und Zimt. Und meine Freunde, die mich aufgezogen hatten, die fehlten mir auch. Wo waren die Gans und die Knödel mit Rotkraut, die vier Meter hohen Blautannen und die Schneeballschlachten in endlos weißen Wäldern?
Die getrübte Stimmung bemerkte auch mein Onkel ziemlich schnell, als ich mich aus der Kleidung geschält hatte und mich mit zinnoberroten Backen zu ihm aufs Sofa setzte, um mit ihm eine Runde Parchís zu spielen – ein spanisches Mensch-ärgere-dich-nicht.
»Bald ist Weihnachten«, sagte er, »da feiern wir alle zusammen, die ganze Familie, da muss man sich doch drauf freuen!« Doch ich konnte mich nur zu einem wenig überzeugten Lächeln aufraffen. Außerdem verlor ich, was mich nur zusätzlich deprimierte.
Mein Onkel kostete meine miese Laune so lange aus, wie es ging, quälte mich, bis ich fast platzte. Jedes Mal, wenn er eine meiner Figuren rausschmiss, lachte er breit wie ein Pferd und bewegte mein Hütchen in einer Flugbewegung zurück aufs Startfeld, untermalt mit einem zischenden Flugzeugdüsen-Geräusch. Damit demonstrierte er mir, wie weit der Weg war, den ich nun von neuem zurücklegen müsste. Irgendwann merkte ich, dass vor lauter Frust meine Augen feucht wurden – und kämpfte. Es galt, pralle, wütende Tränen zurückzuhalten, die kurz davor waren, auf das Spielbrett zu purzeln, und beim Aufprall lauter gewesen wären als die verfluchten Spielwürfel. Aber wenn mein Onkel EIN Riesentalent hatte, dann das, jemanden so richtig zu überraschen.
Genüsslich langsam schob er seine letzte Figur ins Ziel und legte dann seine warme Pranke um meinen Hals: »Ich habe gewonnen, Dani!«, triumphierte er, und der schelmische Ausdruck wich nicht mal aus seinen Zügen, als er auf das Häufchen Elend neben sich herabsah. Wie grausam, dachte ich.
»Nun«, setzte er dann mit seiner sonoren Stimme an, aus der sein breiter katalanischer Akzent deutlich herauszuhören war, »da das heute kein schöner Tag für dich war, müssen wir was unternehmen. Sonst kommst du ja nie wieder zu uns!«
Da kannst du einen drauf lassen, hätte ich ihm in dem Moment fast an den Riesenkopf geschmissen. Aber ich beschloss, lieber zu schweigen. So wie der kleine, dickköpfige Spanier-Junge aus dem Asterix-Heft, der so lange die Luft anhält, bis er puterrot ist. Mein Onkel fuhr fort: »Wir wollen aber, dass du wiederkommst, deshalb wird es diesmal eine zweite Bescherung geben.«
Natürlich wird’s die geben, kochte ich innerlich. Meine Eltern würden mir auf jeden Fall auch was an Heiligabend unter den Baum legen, und die restlichen Geschenke würde es dann im Januar geben, so war’s schließlich abgemacht!
»Das weiß ich schon«, entgegnete ich ihm also trotzig.
Ein schallendes Gelächter in Basslage donnerte mir entgegen, dazu kniff Onkel Juan mir in die Wange. »Du freches Früchtchen wusstest das bereits, ja? Das ist ja allerhand, na dann zieh dich wieder an, sonst erkältest du dich!«
Jetzt wurde ich doch stutzig, warum sollte ich mich wieder anziehen? Auch Juans Ausdruck hatte sich verändert, unüberhörbar klang da etwas Herzliches mit.
Verunsichert stand ich im Hausflur und bekam mit, wie mein Onkel mit jemandem telefonierte und sich entschuldigte. »Das nächste Mal dann wieder, okay?«, hörte ich ihn noch sagen.
Meine Tante guckte genauso verdattert, als wir vor die Haustür traten. »Du nimmst ihn mit?«, fragte sie, aber mein Onkel legte einfach nur den Zeigefinger an die Lippen, »Pssst«. Woraufhin meine Tante verschwörerisch zwinkerte und mir einen blauroten Schal umband: »Viel Spaß. Und passt auf euch auf!«
Wohin fuhren wir, fragte ich mich. Auf einen Weihnachtsmarkt? Auf die Kirmes? Oder doch zurück zum Kaufhaus El Corte Inglés, wo drei verkleidete Opas, von denen einer ganz dick braune Schuhcreme im Gesicht hatte, Könige spielten und Kindern Bonbons schenkten?! Was zur Hölle ging hier vor sich???
Wie zwei Schneemänner standen wir im engen Fahrstuhl und schauten uns an. Bevor ich ansetzen konnte, nuschelte Onkel Juan: »Als Erstes werden wir uns stärken, und dann geht’s an einen der schönsten Orte der Welt, einen Ort, den du nicht vergessen wirst!«
Er schob sich ein Stück Schokolade in den Mund, das er zuvor aus einem Geheimfach unter der Couch gefischt hatte. »Sag es ja nicht Juani«, flüsterte er mir zu und bestach mich mit einer weiteren Praline, die ich nicht wollte, was ihn wiederum
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