Ein Tag in Barcelona (German Edition)
angenehmer sein. Wir plaudern über dies und das, erzählen uns, was wir in letzter Zeit so getrieben haben, und schnell kommen wir auf das wichtigste Thema zu sprechen: den FC Barcelona und unsere Vorfreude auf den nächsten clásico gegen Real Madrid. Ich hoffe, ich schaffe es, zu diesem Klassiker wieder in dieser Stadt zu sein.
Fan ist man von wenigen Dingen ein Leben lang. Mein Musikgeschmack zum Beispiel hat sich oft verändert, und nur von sehr wenigen Bands weiß ich, dass ich sie noch in zwanzig Jahren hören werde. Mit der Literatur und dem Film geht es mir ähnlich. Doch was sich nicht mehr ändern wird, ist meine Begeisterung für den FC Barcelona.
Wahrscheinlich war der erste Stadionbesuch meines Lebens daran schuld, dass ich auf ewig infiziert bin. Als ich acht Jahre alt war, 1986, spielte Barça im Achtelfinale des UEFA -Pokals gegen Bayer Uerdingen. Diesen Tag werde ich nie vergessen.
Wenn meine Eltern in Spanien beruflich zu tun hatten, bekam ich von der Schule die Genehmigung, schon vor Beginn der Ferien zu verreisen. Das kam hin und wieder vor, und jedes Mal freute ich mich diebisch, wenn ich die neidischen Klassenkameraden sah, die noch ein paar Tage länger die Schulbank drücken mussten. Sie wollten mich damit aufziehen, dass ich schon wieder nach Spanien »verfrachtet wurde«, aber damit konnten sie mich nicht ärgern: Mir war jedes Mal ein Abenteuer garantiert.
In besagtem Jahr sollte mein Vater einen Dokumentarfilm über die Mauren drehen, deshalb fuhr er mit meiner Mutter ins südspanische Córdoba weiter. Ich hingegen wurde in Barcelona in die Obhut meines Onkels Juan gegeben.
Es war Winter, und es stellte sich heraus, dass es nicht nur merkwürdig war, die kalte Jahreszeit in Spanien zu erleben. Es war nervig! Der Grund: Jedes Mal, wenn ich hinaus auf die Straße wollte, brach bei meinen Verwandten die spanientypische Panik vor einer Erkältung aus, und ich wurde eingepackt, als ob ich eine Nordpol-Expedition antreten würde. Kratzige Wollstrumpfhosen, die ich hasste wie sonst nichts auf der Welt, Moon-Boots, drei Schichten Oberbekleidung plus Daunenjacke, eine Mütze, wo nur die Hälfte des Gesichts rausguckte, und Fäustlinge, mit denen man nichts greifen konnte – so wurde ich auf die Straße geschickt. Bei zwölf Grad.
Leise vor mich hin fluchend und schwitzend wie ein Schweinchen, trottete ich neben meiner Tante her und versuchte ihr verzweifelt zu erklären, dass das, was sie in Barcelona für Winter halten, bei uns in Alemania Frühlingstemperaturen sind, bei denen wir im T-Shirt rumlaufen. Doch es war nix zu machen.
»Uy no, te vas a costipar« , sagte sie. »Nichts da, du holst dir ’nen Schnupfen.« Und so quetschte ich mich wie eine dicke Zwiebel durch die buntbeleuchteten Straßen und überhitzten Kaufhäuser und wunderte mich, dass die anderen Kinder sich nicht zu beschweren schienen, obwohl sie die gleiche Winteruniform trugen wie ich.
Ich hätte am liebsten gleich eine Revolution angezettelt. Meine Tante spürte offenbar meine schlechte Laune – und erklärte mir, dass die Kinder in Spanien ihre Weihnachtsgeschenke erst am Dreikönigstag erhalten, also am 6. Januar. Ich solle schön brav sein, die Reyes, die Könige, würden mir dann bestimmt etwas Tolles mitbringen.
Die Aussicht auf zwei Bescherungen besänftigte mich dann rasch. Sofort blickte ich meine Tante nur noch wie ein Kind aus der Werbung an. Zumal es für unartige Kinder in der Bäckerei bloß carbón, spanisch für Kohle, gab, dunkelgraue Brocken aus purem Zucker. Das wollte ich nicht riskieren. Stattdessen versuchte ich, mit funkelnden Augen und doch traurig schmachtend an der spanischen Carrera-Bahn »Scalextric« vorbeizulaufen – so lange, bis ich meinte, dass Tante Juani verstanden hatte, was sie los Reyes Magos ausrichten sollte.
Bei einer viel zu süßen und heißen Schokolade ließ ich es mir dann aber trotzdem nicht nehmen, mein Schulwissen vor ihr auszubreiten. Es sei doch schon merkwürdig, dass Caspar, Melchior und Balthasar angeblich immer noch auf Tour waren – die lägen doch in einem wunderschönen Goldsarg bei mir zu Hause in einem Dom in Köln begraben! Ihre Antwort war bloß ein falsches Hüsteln – und die Aufforderung, meine Schokolade schnell auszutrinken. »¡Si no, te vas a constipar!«
Draußen auf dem Passeig de Gràcia brannten Weihnachts-Lichterketten, die viel prächtiger waren als jene, die ich aus Köln kannte. Aber ich hatte trotzdem Heimweh nach Deutschland.
Weitere Kostenlose Bücher