Ein Tag in Barcelona (German Edition)
zu Gesicht bekommen hatte. Alle stellten wir uns vor, wie die beiden Schwestern aus der großen Stadt in der alten Bar mit dem ratternden Ventilator mit Limonade verdünnten Rotwein trinken, um später unter dem dicken gelben Mond aufs alte Maurenschloss zu klettern und heimlich ihre ersten Zigaretten mit uns zu teilen.
Als wir mit meinen Eltern vom Strand nach Hause fuhren, sah ich die beiden am Ortseingang stehen. Ich presste mein Gesicht an die Scheibe. Wow. Die beiden waren tatsächlich bildhübsch. Das hatte ich kaum registriert, da wurde es peinlich: Meiner Mutter entfuhr ein Unheil ahnendes »Uyuyuyyyyy«, worauf mein Vater und meine Geschwister sich schieflachten. Es war klar, was meine Familie damit sagen wollte: Ab jetzt wird’s anstrengend, bei dem Kleinen geht’s los. Schlauchboot fahren, Strandtennis mit Holzkellen am Ufer spielen, Eis essen, um Fußball-Bilder zocken – das alles war vorbei. Ab jetzt würde es nur noch um Mädchen gehen. Beziehungsweise um Sandra. Ich hatte nichts gesagt. Aber alle wussten, dass ich sie sehen musste. Und alle sahen, dass es mir nicht schnell genug gehen konnte.
Zu Hause griff ich auf der Terrasse hastig zum Gartenschlauch und entfernte die Salzkruste, die ich seit dem morgendlichen Bad im Meer mit mir herumtrug, von der Haut. Das Mittagessen schien eine Ewigkeit zu dauern. Mein Bruder ließ sich extra Zeit beim Zubereiten des Gazpachos, der kalten Tomatensuppe, und meine Schwester summte irgendwelche Liebesschnulzen vor sich hin: reine Provokation. Ich verschlang in Rekordzeit das Essen und klaute mir dann im Bad Rasierwasser, das ich mir viel zu großzügig auf den Hals auftrug. So gemein, mich noch zum gemeinsamen Kaffeetrinken mit dem Rest der spanischen Sippe in unserem Dorf dazubehalten, war meine Familie dann nicht.
Ich wurde entlassen und stürzte mich in die sengende Mittagshitze, in der selbst die hyperaktiven Mauersegler, die sonst unter jedem Dachziegel eifrig ihre Nester fertigen, Siesta machten. In halsbrecherischem Tempo flitzte ich die steilen Gassen zur Bar am Schwimmbad hinunter, vorbei an faulen Straßenkötern, die sich müde die lästigen Fliegen vom Leib wedelten, weiter an gemütlich auf Lehnstühlen im Schatten wippenden Dorfältesten, die mich mit dem hier üblichen Zischen begrüßten, weil selbst ein Adéu, ein Auf Wiedersehen, schon zu anstrengend wäre. Rasch noch an der alten Tränke vorbei, wo die Waschweiber bis heute ihre Laken schrubben und aufhängen – und dann war es nicht mehr weit zu dem Treffpunkt der Dorfjugend, dem Schwimmbad, wo ich Sandra und ihre Schwester vermutete.
Natürlich war noch niemand da, als ich ankam. Außer Guillermo, genannt Willy, der immer da war. Er bot mir eine Partie Schach an.
Der arme Traktorfahrer mit dem hohlsten Kreuz und der größten Wampe Spaniens tat mir immer ein bisschen leid, weil ihn alle als Dorftrottel verspotteten und er beim Schachspielen immer verlor. Doch seine Einladung nahm ich nicht aus Mitleid an. Sondern weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Ich bestellte mir eine Limonade, nahm hin und wieder einen Schluck und hatte keine Ohren für Willy und sein Gebrabbel, weil ich immer wieder auf die Straße schaute, wo doch irgendwann die süßen Zwillinge auftauchen müssten.
Verdammt, ich bin tatsächlich schachmatt! merkte ich irgendwann. Dass ich an dem Spiel nicht das geringste Interesse gezeigt hatte, konnte Willy nicht davon abhalten, sich wie Bolle über seinen vermutlich ersten Triumph überhaupt zu freuen. Dann hörte ich Lärm. Und erschrak.
Es näherten sich ein paar Gestalten, ein Cousin und seine etwas älteren Iron-Maiden-Freunde mit ihren fettigen Langhaarmatten und ihren bescheuerten Heavy-Metal-T-Shirts. Dieselben Typen, die mich zwei Jahre zuvor mit dem Wort paja , Stroh, aufzogen hatten, weil es im Spanischen in seiner zweiten Bedeutung onanieren bedeutet. Davon wusste ich damals nichts. Erst Jahre später wurde ich diesbezüglich »aufgeklärt« – als ich nämlich erfuhr, dass Toyotas Werbeabteilung ähnlich naiv war wie ich, als sie ihren Jeep auch in Spanien mit dem Namen Pajero vertrieben: Wichser.
In der Hitze waren aber auch diese räudigen Metal-Hirnis zu müde, um mich zu verarschen. Also ließ ich Willy Kasparov weiter den Tag seines Lebens genießen. Doch das Nächste, was ich sah, war, wie der grüne Fliegenvorhang aus Plastikstreifen beiseitegeschoben wurde und zwei braungebrannte Füße mit pink lackierten Zehennägeln die Terrasse zum
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