Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Gaudí-Gebäudes in den Himmel, der berühmten Sagrada Familia, die niemals fertig zu werden scheint.
Irgendwo in der Nähe bellt ein alter Köter, einer der andalusischen Flamencosänger zupft die Saiten seiner Klampfe, und aus dem großen grünen Wald vor uns hört man Gaudís Drachen fauchen. Just als ich denke, dass man doch noch allein sein kann in dieser wunderbaren Stadt, fällt mir ein, dass ich mir selbst versprochen habe, zu der Bank an der Barceloneta zu fahren. Denn mein Blick streifte soeben das Meer an der Stelle, wo die Kolumbusstatue steht. Eine Statue, die mich immer wieder an den Sommer von ’89 erinnert.
»Kannst du mich hinfahren, Carlos?«, frage ich mit der Unverschämtheit, die der Alkohol in einem freisetzt.
»Anders kommst du hier eh nicht weg«, übertreibt er.
Als wir im Auto sitzen und abwärts fahren, beginne ich Carlos zu erzählen, warum ich hinunter ans Meer will. Dass ich mich nach ewig langer Zeit wieder an ein altes Date erinnert habe, dem ich nun nachspüren will. Das erste Date überhaupt, um genau zu sein. Es war vor siebzehn Jahren, plus minus eine Woche, angesetzt auf 18 Uhr. Der Treffpunkt war genau dort, am Fuße der Kolumbusstatue. Sie hieß Sandra.
Ich weiß noch, wie damals mein Herz aus dem Brustkorb herausspringen wollte, als ich mich der Säule näherte.
Ich war natürlich zu früh losgegangen. Viel zu früh. Einen halben Tag zu früh. Nicht nur die Spiegel in öffentlichen Toiletten, sondern auch jedes spiegelnde Fenster und jede Autoscheibe nutzte ich für einen Kontrollblick. Denn es galt, einen beeindruckenden Pickel an der Stirn mit einer Haarsträhne zu kaschieren und das frisch gekaufte Band-T-Shirt von Blur aussehen zu lassen, als hätte ich es schon auf Dutzenden Festivals getragen. Coolness zu markieren.
Mein spanischer Freund Miguel, ein braungebrannter, hübscher Herzensbrecher, hatte mir am Abend zuvor mit bierernster Miene einen Vortrag gehalten, wie man sich bei solch einem wichtigen Ereignis verhält. Man muss es unwichtig erscheinen lassen, sagte er, und man darf unter keinen Umständen seine Aufregung zeigen. Ich aber hatte gehört, dass es auch Mädchen gebe, die es ganz süß fänden, wenn man nervös war. »Schwachsinn«, sagte Miguel, »und erst recht Schwachsinn bei Sandra. Die will einen toro bravo .« Einen wilden Stier.
Mit einem freundschaftlichen, aber viel zu festen Faustschlag auf den Oberarm entließ mich Miguel in eine unruhige und schlaflose Nacht, in der ich Sandras Lächeln sah und Angst davor hatte, es nie wieder zu sehen, wenn ich am nächsten Tag etwas falsch machen würde.
Ich setzte mich in das letzte Café am Ende der Ramblas, fast an der Ecke zum Passeig de Colom, über dem Kolumbus thront und irgendwohin deutet, nur nicht nach Amerika. Den Treffpunkt fest im Blick, bestellte ich mir ein Bier. Der Kellner zögerte. Ich sah so jungenhaft aus, dass er bestimmt fürchtete, in Teufels Küche zu kommen, wenn er mir Alkohol ausschenken würde. Aber ich erklärte ihm die Situation: Dass es um die große und einzige Liebe ging und ich unbedingt ein kühles Bier bräuchte, um nicht aufgeregt zu wirken und sie damit gleich in die Flucht zu schlagen. Mit verständnisvollem Zwinkern bekam ich dann auch kurz darauf meine caña serviert.
So ist das in Spanien, und das war gut so. Hätte man mich in meiner aufkeimenden Männlichkeit nach dem Ausweis gefragt und mir stattdessen einen Kakao hingestellt, wär da schon alles gelaufen gewesen. Doch so richtig wollte die Aufregung trotz Bier nicht weichen. In der Spiegelung der Flasche unterzog ich mich weiterer prüfender Blicke und probierte verschiedene Gesichtsausdrücke, die in Richtung gelangweilt und unbeeindruckt tendierten. Die Haare etwas länger zu tragen war die Jungsfrisur der Zeit, und das bisschen Farbe, das mir die Urlaubssonne in die Haut gebrannt hatte, stand mir auch ganz gut zu Gesicht. Fand ich.
Ich war jetzt im Zug, aber über was sollte ich mit ihr reden? Was war der erste Satz, wie konnte man schnell das Eis brechen? Solange ich auch grübeln würde, ich konnte es nicht wissen. Denn mit Sandra hatte ich im Urlaub bis auf Hallo und Tschüs kaum etwas geredet. Eigentlich hatte es nur diese Blicke gegeben.
Und dieses Lächeln.
Es war das erste Mal gewesen, dass sie mit ihren Eltern die Sommerferien in unserem Dorf verbracht hatte. Sie und ihre Zwillingsschwester waren gleich am ersten Tag Gesprächsthema in dem kleinen Kaff, obwohl sie noch niemand so richtig
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