Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Schwimmbad betraten. Alles wurde langsam. Nur mein Puls wummerte besorgniserregend schnell.
Ich traute mich nicht aufzuschauen und tat es doch. Dios santo! Heiliger Gott! Was für ein wunderschönes Mädchen! Lange braune Haare, eine Stupsnase wie gemalt, stechend grünblaue Mandelaugen wie bei einer Schauspielerin in einer amerikanischen Vorabendserie. Als ob das nicht genug gewesen wäre, betrat auch noch ihre eineiige Zwillingsschwester das Café, und die gefiel mir irgendwie noch besser.
Da gab es natürlich auch bei den Rockern kein Halten mehr. Weil sie älter waren und wussten, wie das geht, hatten sie gleich zwei freie Stühle am Start. Mein Cousin lächelte mir arrogant und siegesgewiss zu. Ob ich eine Runde bestellen könne, fragte er mich, und ich schaffte es immerhin, so zu tun, als hätte ich es überhört. Derweil jauchzte Willy immer noch wegen seines Sieges. Er gluckste und grunzte und brüllte alle an, sie sollten sich diesen Wahnsinn auf dem Spielbrett anschauen.
Und was passiert?
Die Mädels setzten sich in Bewegung – und stellten sich links und rechts neben mir hin. Mein Herz raste. Die Zweite, die einen Leberfleck auf der Wange hatte, sagte, dass sie Schach cool findet – und fragte mit komplizenhaftem Zwinkern, ob ich mal gegen sie spielen würde. Wahrscheinlich dachte sie, dass sie gegen mich gewinnen würde – wenn ich schon gegen Willy verliere … Mir war das recht. Denn ich wusste, dass diese Sekunden den Schritt in einen neuen Lebensabschnitt bedeuteten, dass es das Ende meiner Kindheit und der Beginn vom Allergrößten war. Meiner Jugend.
Allerdings gab ich nur einen kaum verständlichen Laut von mir. Danach saßen sie und ihre Schwester noch eine Weile bei den knurrenden Vollidioten rum, die sich mit Luftgitarre und schlechten Sexwitzen immer weiter ins Aus schossen. Genial. Bevor die zwei dann die Bar verließen, geschah das Allerbeste. Meine Angebetete näherte sich, berührte mich an der Schulter und hauchte mir zu: »Soc la Sandra.« Ich heiße Sandra.
Ich merkte, wie meine Beine zitterten, also konnte ich auch nicht aufstehen, um ihr einen Abschiedskuss auf die Wange zu geben. Stattdessen stammelte ich meinen Namen, lächelte sie dement an und bejahte mit einem grunzähnlichen, willyhaften Laut, als sie fragte, ob wir uns nicht mal sehen wollen. Der Rest ging dann ganz schnell. Ich umarmte Willy und dankte ihm tausendmal für die Partie. Die Heavy-Metal-Fritzen hingegen waren sauer und suchten irgendeinen Vorwand, um mich ins Wasser zu schmeißen. Ich kam ihnen aber zuvor, weil ich Bock drauf hatte, mich selbst ins Bad zu werfen und in die Sonne zu blinzeln und zu wissen, dass ich gewonnen hatte: Verpisst euch!, dachte ich.
Und: Ich hab das Rennen gemacht!
Dachte ich. Die Hiobsbotschaft überbrachte mir derselbe hyänengleiche Vetter am nächsten Tag am Strand, just als ich dabei war, im Wasser meine Muskeln mit komischer Gymnastik zu stärken. »Schon gehört? Die zwei Kaninchen haben sich aus dem Staub gemacht. Die Oma ist gestorben, und sie müssen zurück nach Barcelona.«
In mir brach eine Welt zusammen, und mein Cousin lachte.
»So’n Ärger aber auch, so kurz vorm ersten Stich. Na ja, wahrscheinlich hättet ihr eh nur Schach gespielt, und ich hätte den Stich gemacht«, lachte er.
Mittlerweile mögen wir uns wieder, aber ich schwöre, damals wünschte ich mir, dass ein Motorboot über diesen Typen brettert.
Völlig geschockt kam ich ins Dorf zurück. Daheim wartete schon meine Mutter, sah mich und versuchte mich zu trösten. »Geh mal zum Küchentisch, da liegt was für dich.«
Zitternd öffnete ich den kleinen gelben Umschlag. Den Inhalt habe ich in dem verbleibenden Urlaub wahrscheinlich hundertmal gelesen: »Es ist etwas Schlimmes passiert, deswegen mussten wir abreisen. Schade, ich hätte Dich gern noch mal gesehen. Wenn Du Lust hast, mal was in Barcelona zu unternehmen, ruf mich an. Küsschen, Sandra.«
Ich war komplett von den Socken, so glücklich und stolz wie noch nie in meinem Leben. Zum ersten Mal konnten die Ferien im Dorf nicht schnell genug herum sein. Allerdings musste ich noch vier Wochen lang von der Rückfahrt nach Barcelona träumen, und dann würde ich nur drei, vier Tage Zeit haben, bevor wir wieder nach Köln zurückfuhren.
Die ersten Tage traute ich mich nicht anzurufen, ich war viel zu nervös. Stattdessen überspielte ich fleißig Kassetten und beschriftete sie liebevoll. Hoffentlich mochte sie The Smiths. Schließlich nahm ich
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