Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Feldwegs kann ich einen Menschen erkennen, der in meine Richtung schaut und winkt: Carlos, der cuñado . Schnaufend nähere ich mich ihm. Er hält mir ein gekühltes Getränk entgegen und lobt meinen Orientierungssinn. Das ist das erste Mal, dass ich so ein Lob höre.
Ich lerne in Carlos einen phantastischen Kerl kennen, der nicht aufhört zu reden, was mir aber ganz und gar nichts ausmacht, weil er gut reden kann und viel weiß. Sein Haus ist voller Bücher über spanische Geschichte. Die Iberer, die spanische Urbevölkerung, sind sein Spezialgebiet.
Carlos’ Beruf, und das fasziniert mich sehr, besteht darin, Masken zu bauen. Für Opern, Bälle, Theater, Film, Privatleute. Alle Wände des kleinen Hexenhauses hängen voller Masken: afrikanische, römische, venezianische, iberische und eigens erfundene Kreationen. Man wird von tausend leeren Augenhöhlen angestarrt, weswegen mir, ehrlich gesagt, etwas mulmig wird. Ich habe mich schon als Kind vor Masken und altem Spielzeug eher gefürchtet. Carlos kommt sich anders als ich nicht beobachtet vor. Doch frei von Sorgen ist er nicht.
Es sei nicht einfach, mit dieser Arbeit zu überleben, erzählt er mir. »Weil es eine aussterbende Kunst ist.« Dann ermutigt er mich, mir, bevor er sein Handwerk an den Nagel hänge, auch eine Maske machen zu lassen, damit ich meine Angst überwinde. Ich bin einverstanden und lasse mir verschiedene Motive zeigen, schließlich entscheide ich mich für eine groteske Maske mit riesiger Nase.
Der cuñado erlaubt mir, Fotos zu schießen von seinem Atelier und seinen Kunstobjekten. Bei näherem Blick zeigt sich, wie fein und kunstfertig jede einzelne Maske hergestellt ist, wie viel Liebe in jeder steckt. Während ich fotografiere, sagt Carlos: »Nur in der ruhigen Abgeschiedenheit unter den inspirierenden Fabelwesen des Parc Güell kann ich konzentriert arbeiten.«
Ich räuspere mich und bitte ihn um Verzeihung. Mein Orientierungssinn sei vielleicht doch nicht so gut ausgeprägt, deshalb meine Frage: »Fährst du zum Arbeiten immer runter zum Parc Güell?« –
»Nein, Daniel«, erwidert er lachend, »ich muss nirgendwohin gehen. Wir sind im Parc Güell. Hier fängt er an!«
Dann nimmt er mich, verdutzt wie ich bin, an der Hand und führt mich auf seine Terrasse, wo seine Frau das Abendessen vorbereitet. In einem Korb liegen Salat, Gemüse und Früchte, und Carlos fragt mit breitem Grinsen, ob ich wisse, wo sie das kaufen würden. »Nirgendwo!«, ruft er, während ich noch überlege, und geht mit mir über eine alte Holztreppe hinunter in einen verwilderten Garten, zu kleinen Feldern direkt neben dem Haus, wo alles wächst, was man braucht. Ich probiere Tomaten und Paprika und muss sagen, dass sie phantastisch schmecken.
Dass man in Barcelona Felder bestellen kann, ist mir neu, und ich zücke wieder den Fotoapparat. Langsam fällt auch die Pesete in meinem Köpfchen: Der große dunkelgrüne Wald, den ich die ganze Zeit vor mir gesehen habe, ist die Rückseite des Parc Güell! Von hier geht es hinab zu Gaudís weltberühmter Traumlandschaft, zu seinen speienden Drachen, seiner kühlenden Säulenhalle, seinen bunt verzwirbelten Türmchen und Bänken.
Ich habe diesen Park schon als Kind geliebt und tue es noch immer. Aber da ist man in Barcelona nicht allein. Die Romantik und Magie des Parc Güell kann man nur selten mit wenigen Leuten genießen, meistens scharen sich die Massen hier, dass man Angst hat, er kracht irgendwann zusammen unter der Last einer Million Turnschuhe.
Das Schöne sei, hier oben den Park für sich alleine zu haben, sagt Carlos. »Frühmorgens oder abends gehe ich runter, wenn sogar die Drachen noch schlafen und die Touristen erst recht.« In der übrigen Zeit drücke er sich lieber in den geheimen Ecken des Parks weiter oben herum und genieße die Einsamkeit und die frische Luft, die nach würziger Pinie riecht und nicht nach Smog. »Ich hole mir einen Apfel vom Baum und begebe mich an die Arbeit in meinem Atelier.«
Während ich so zuhöre, werde ich neidisch auf den Mann. Ich hoffe, dass er niemals aufhört, seine Masken hier zu bauen, so etwas und so jemand darf nicht aussterben.
Nach der ausführlichen Besichtigung werde ich auch noch zu einem köstlichen Essen eingeladen. Carlos zündet Lampions an, während die Stadt zu unseren Füßen ihr schickes Abendkleid überstreift, ihren funkelnden Schmuck anlegt und mit jeder Minute stärker leuchtet. Irgendwo bohren sich die Türme des anderen, großen
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