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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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deshalb nahm sie mein Gesicht in die Hände und küsste mich. Und wenn sie nicht schon vorher wusste, dass dies mein erster richtiger Kuss war, dann merkte sie es jetzt. Denn auch darin stellte ich mich doof an. Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, was ich mit der Zunge machen sollte, zudem öffnete ich mittendrin ängstlich die Augen, was mich noch mehr aus dem Konzept brachte, und versuchte mit einer Hand gegen den Wind anzukämpfen, der mir die Haare aus der Stirn blies und meinen Pickel offenbarte.
    Kurz danach löste sie sich, lächelte wieder vielsagend, räusperte sich und sagte, dass es sehr schön gewesen sei, aber dass sie jetzt gehen müsse, weil sie sonst Ärger bekommen würde.
    Ich wusste, dass sie log. Für spanische Verhältnisse war es nämlich noch früh. Aber ich nahm es ihr nicht krumm. Bevor sie ging, gab ich ihr noch mein Geschenk, das Mix-Tape mit Songs von The Smiths, auf denen Morrissey davon singt, wie es wohl wäre, »an deiner Seite zu sterben«: To die by your side . Ich dachte, dass dies sie umstimmen würde, wenn sie es alleine in ihrem Zimmer hört. Sie bedankte sich. Und ging.
    Obwohl ich wusste, dass das alles nicht toll war, genoss ich es. Ich war restlos verliebt nach diesem Kuss. Deshalb blieb ich noch ewig sitzen auf der Bank, unfähig, irgendetwas zu tun oder zu denken. Sie hatte nicht vorgeschlagen, mich am nächsten oder übernächsten Tag noch mal zu sehen. Sie hat bloß gesagt: »Bis nächstes Jahr … vielleicht.«
    Vielleicht.
    Da wusste ich, dass ich sie niemals wiedersehen würde. Doch den Moment wollte ich trotzdem festhalten. Also packte ich, als es schon zu dämmern begann, meinen Schlüssel aus und ritzte unsere Namen auf die Bank. Sandra y Dani, 1993 .
    Auch heute, Jahre später, sind die Bänke an der Barceloneta voll von jungen Paaren. Daran, dass sie dort knutschen und alles um sich herum vergessen, hat sich nichts geändert. Die Jungs dürfen noch nicht mit einer Freundin nach Hause kommen, also machen sie hier ihre mehr oder weniger historischen Erfahrungen mit der Liebe.
    Aber es gibt auch viele geplatzte Träume, Rechnungen, die nicht aufgegangen sind, Körbe, die man sich eingefangen hat. Jugendliche, die sich zu schnell betrunken haben, Engländer aus Liverpool oder Hull, die ihren Junggesellenabschied feiern wollen, weil sie denken, dass Barcelona so etwas wie Ibiza ist oder Lloret. Nur größer. Dauerpartys am Strand, mit Sex, Drogen und Techno geladene Nächte. Zwar sind dafür die schrecklichen Schuppen rund um das gigantische Shopping-Center Maremagnum gedacht, wo viele Pauschaltouristenträume in Erfüllung gehen. Aber es gibt nicht genug Orte, um alle betrunkenen, frustrierten Vergnügungssüchtigen zu befriedigen. Deshalb sieht man sie irgendwann auf der Bank sitzen, mit leerem Blick und Bierdose in der Hand, die sie bei umherirrenden Verkäufern erstanden haben.
    Auf »unserer« Bank sitzt heute niemand. Ich setze mich hin und suche nach unseren Namen. Sie sind längst verwittert oder von tausend anderen Paaren verwischt worden, wer kann das schon so genau wissen? Dann schaue ich aufs Meer, das immer noch das gleiche wie damals ist, und stelle mir vor, dass eine furchtbar spießige, vergrämte, breithüftige Frau mit einem Leberfleck auf der Wange und viel zu grell geschminktem Gesicht sich zu mir setzt und ich sie frage: » Sandra, ets tu ?«

Damals, nach dem fehlgeschlagenen Date mit Sandra, stürzte ich mich in das, was ich an Spanien am meisten schätze und was mich immer wieder zurücktreibt: die Nacht.
    In vielen Städten Frankreichs und Italiens hat es mir oft so gut gefallen, dass ich tagträumte, wie es wohl wäre, dort zu wohnen. Orte, die einen in ihrer Schönheit und Lieblichkeit erschlagen. Aber jedes Mal musste ich feststellen, dass mir die Nacht fehlen würde.
    Ich brauche Läden, aus denen Gesang zu hören ist, oder lautes Geplapper, Licht, Paare, die sich mit roten Wangen ineinander verkeilen, müde Kinder mit tonnenschweren Lidern, die an den Rockzipfeln der Mütter ziehen, weil sie endlich nach Hause wollen. Ich brauche: la noche.
    An keinem anderen Ort wird so spät gegessen, sind die Kinder so lange wach. Die Nachtclubs füllen sich erst um drei in der Früh, denn meist dauern die abendlichen Mahlzeiten, ob zu Hause oder in Restaurants, bis Mitternacht. Danach gibt es die sobremesa, das ausgedehnte Gespräch »danach« mit seinen Kaffees und Absackern, das sehr lange dauern und diejenigen, die auf einen freien Tisch

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