Ein Tag in Barcelona (German Edition)
hinausführt auf die Straße! Ich mache große Augen, aus denen ich ihn unschlüssig ansehe, dann entscheide ich mich tatsächlich dafür. Wenn schon, denn schon.
Auf der Schulter seiner Fans verlässt der große José Tomás zum letzten Mal die Monumental, und als ich ihm auf die Schulter klopfe, dreht er sich kurz um und lächelt und blinzelt. Auch kein Barbar.
Später reden Aldo und ich beim Bier, und ich beschließe für mich, so etwas wie die Schweiz zu sein: auf ewig neutral. Ich verstehe die, die gegen den Stierkampf sind – das Töten eines Tieres wird zum Spektakel gemacht, natürlich leidet der Stier, und er hat im Grunde genommen keine Chance. Es ist so gesehen kein fairer Kampf. Aber ich verstehe auch diejenigen, die den Stierkampf verstehen.
Ich bin ein wenig ermüdet von all den Massen, die in der Arena waren, von dem Gejohle und Gedränge. Und suche nach etwas Entspannung. Doch leider ist es nicht ganz einfach, in einer derart überlaufenen Stadt wie Barcelona noch Ecken zu finden, wo man nicht Tausenden Menschen über den Weg läuft, wo man für sich allein ist, sich nicht beobachtet fühlt. Berlin, wo ich jetzt einen Teil meines Lebens verbringe, macht es einem mit seiner immensen Fläche natürlich leicht, sich zu verstecken. Die Stadt scheint nirgendwo aufzuhören, jedes einzelne Viertel so groß wie eine eigene Stadt. Barcelona ist hingegen überschaubar, alles im Prinzip fußläufig erreichbar und entsprechend gedrängt. Doch als ich den letzten Schluck Bier austrinke, erinnere ich mich an die Empfehlung eines Freundes: Fahr ins El Carmel!
Ich hatte ihm erzählt, dass ich hin und wieder gerne fotografiere. Mehr schlecht als recht, ja, aber dafür auch nur für mich. Und als ich ihm sagte, dass ich mich für einen Blick auf Barcelona interessiere, der anders ist, der nicht schon x-mal abgelichtet wurde, legte er mir das El-Carmel-Viertel ans Herz. »Das liegt weit weg auf den Hügeln, noch hinter dem Tibidabo.« Ein Blutsbruder von ihm wohne dort, Carlos, genannt der cuñado, der Schwager, obwohl er keiner ist. Carlos sei ein Pfundskerl, den man kennen sollte. »Er öffnet einem die Tür, serviert kühlen Wein und gewährt jedem Gast einen einzigartigen Blick auf die Stadt.«
Also mache ich mich jetzt auf den Weg zum cuñado .
Ich war noch nie in El Carmel. Ich weiß nur, dass El Carmel früher ein hartes Pflaster war. Die andalusischen Gastarbeiter wurden dorthin geschickt, an die Ausläufer der Stadt, um sich ihre Bretterbuden auf den nicht asphaltierten Hügeln zu zimmern. Eine arme Gegend, in die man nicht ging, wenn man nicht musste. Der Name El Carmel kommt aus dem Spanischen: In Andalusien wird ein Häuschen mit Garten ein carmelo genannt. Genau das haben sich die Arbeiter aus dem Süden Spaniens dann auch hingebaut. Sie haben ihre Kultur gepflegt, ihren Dialekt und ihre Musik. Damit haben sie auch stark den Flamenco in Barcelona geprägt.
Angst müsse man längst nicht mehr haben, im Zentrum kann es viel gefährlicher sein als hier, haben mir diverse Barcelonesen bestätigt. Ich nehme trotzdem ein Taxi, denn es ist schon spät. Der Wagen schraubt sich immer höher in die Stadt, die Straßenschluchten sehen aus wie in San Francisco. Nur die neue Metro-Endstation El Carmel, die ich dem Taxifahrer als Ziel angegeben habe, wirkt in ihrer bescheidenen Umgebung wie ein futuristischer Fremdkörper.
Mit Hilfe des Stadtplans kann ich ungefähr erahnen, wohin es von da aus geht, und so schicke ich mich an, die steilsten Straßen Barcelonas, die ich je gesehen habe, zu erklimmen. Das Viertel wirkt schon auf den ersten Blick improvisiert, aber auch faszinierend. Jedes Haus sieht anders aus, zusammengeschustert nach Gutdünken und solange das Geld reichte. Kleine, bescheidene, aber liebevoll eingerichtete Häuschen stehen eng nebeneinander und sehen aus, als ob sie frieren. Mittendrin Kneipen, die trotz Neonlicht schummrig dreinschauen.
Bald hört der Asphalt auf und wird zum Feldweg. Bin ich noch richtig auf dem Weg zum Schwager? Häuser sind schon noch zu erkennen und dahinter ein riesiger Wald. Auf einmal öffnet sich ein sagenhafter Blick auf die Stadt, wobei ich im Vordergrund traumhafte alte Villen, zum Teil verlassen dastehend, erkenne. Die Hügel unterhalb des Tibidabos halten sie gut versteckt, daher sind sie nur aus dieser Richtung sichtbar.
Ich nähere mich dem immer dichteren Grün, immer knorriger und wilder schießen die Pinien und Kiefern aus dem Boden, und ganz am Ende des
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