Ein Tag in Barcelona (German Edition)
warten, in den Wahnsinn treiben kann. Im Anschluss daran begibt man sich gerne noch in eine Bar, und erst hinterher, so gegen zwei Uhr morgens, heimwärts, es sei denn, man will noch das Tanzbein schwingen.
Das gilt natürlich vor allen Dingen für das Wochenende. Wochentags ist man schon deutlich europäischer geworden; da die Arbeit genauso früh losgeht wie andernorts und die heilige Siesta abgeschafft wurde, muss man mit den Kräften haushalten. An der zweistündigen Mittagspause wird jedoch trotzdem festgehalten, in der Zeit zwischen 14 und 16 Uhr geht gar nichts. Stillstand.
Ich lasse mich nachts am liebsten vom Unvorhergesehenen verführen. Das ist, wenn man so will, eine Reminiszenz an den Abend mit Sandra. Damals vertraute ich auch bloß einem Zeichen, das von irgendwoher kam: von einem Bekannten, den man in einer Menschentraube entdeckt, aus einer Nische, in der man noch nie war und wo man neue Bekanntschaften machen könnte. Heute ruft mich die Carrer d’En Gignas, in die ich einbiege, um auf das kreisrunde Plätzchen zuzugehen, wo das Manchester liegt, eine kleine Kaschemme, die ich sehr gern habe, weil man dort einfach nur Bier trinken kann.
Da ich niemand Bekannten treffe, treibt es mich wieder nach draußen. Ich schlendere zur Carrer de la Princesa und über den Platz Jauma I, wo der Sitz der Regionalregierung und das Gemeindehaus sich gewissermaßen Auge in Auge gegenüberstehen, weiter zur Via Laietana – die übrigens nach den »Laietanern« benannt ist, dem Stamm der Iberer, der ein paar Jahre vor Christus »Barcinon« gründete, die Ursiedlung Barcelonas.
So dringe ich allmählich in das schlagende, dunkle Herz des Born ein und bewege mich auf eine der wenigen Bars zu, die sich so gut wie nicht verändert haben, seit ich nach meinem Treffen mit Sandra hier unterwegs war: das Mudanzas.
Ich mag die alte Schwingtür, die weiße Marmortheke, die noch nie mit etwas anderem gereinigt worden ist als mit einem Gin, der billiger ist als Meister Proper. Mir gefällt der Kachelboden, und mir gefällt die kleine Treppe, die zu den oberen Plätzen direkt unter der Decke führt. Am liebsten quetsche ich mich aber an die immer volle Bar und lausche den Gesprächen der Dinosaurier des Kiezes, zu erkennen an ihrem lallenden katalanischen L und dem E, das ganz hinten in der Gurgel sitzt.
Allerdings ist das mit dem Lauschen gar nicht so einfach, denn das Geschnatter ist so laut, dass es wie in manchen Filmen gekünstelt und übertrieben wirkt. Doch schließlich bleibt mein Blick an einem alten Mann hängen, der seine Nase in ein Longdrinkglas hält und dabei ein interessantes Thema anschlägt. Damit lockt er unter anderem zwei neugierige Zuhörer aus Mexiko an: ein gar nicht mal so altes Pärchen, das höflich und verkrampft lächelt, wie es sich für zentralamerikanische Spießer gehört.
Worum es geht? Um das »Fäkalphänomen«, das einzigartig in Katalonien sei und ganz weit zurückreiche. »Alles dreht sich hier um Ärsche und Kacke«, sagt der Opa mit dem Ginglas. Gut auf den Punkt gebracht, denke ich und bestelle mir ein Verdauungsgetränk.
Denn es ist tatsächlich so, und ich bitte um Verzeihung, dass es nun etwas rüde wird: Wenn man in Spanien jemanden wüst beschimpft, dann kackt man auf seine eigene Mutter, die des jeweiligen Gegenübers, in Extremfällen sogar auf Gottes Mutter. Andererseits sagt man, wenn etwas herausragend gut ist, zum Beispiel ausgezeichnet schmeckt: » Está que te cagas .« Es schmeckt zum Kacken gut!
Das gilt unter anderem für die Ensaimada, mein pudergezuckertes Lieblingsgebäck, von dem die Leute in Katalonien ernsthaft behaupten, seine Form wäre einem Scheißhaufen nachempfunden. Süß, nicht? Und überhaupt: Selbst Weihnachten ist hier, ähem, mit Scheiße überzogen. Denn die Katalanen haben, obwohl sie stockkatholisch sind, die caganers erfunden.
Die caganers sind, wörtlich übersetzt, kleine Kacker, die in der Weihnachtskrippe platziert werden – zusammen mit dem auf Stroh gebetteten Christuskind, der Heiligen Jungfrau Maria und Josef. Eigentlich ist die klassische caganer -Figur ein Bauer, der hockend sein Geschäft verrichtet und dabei landestypisch mit der boina, der roten Mütze, einem hochgeschobenen weißen Hemd und runtergelassenen schwarzen Hosen bekleidet ist. Der caganer soll schon im siebzehnten Jahrhundert das katalanische Krippenspiel geschmückt haben, mittlerweile sind die Figuren aber Karikaturen von Prominenten.
Der ehemalige Trainer
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