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Ein Tag ohne Zufall

Ein Tag ohne Zufall

Titel: Ein Tag ohne Zufall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearson Mary E.
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heute ihr Referat halten. So was Blödes«, setzt Mira hinzu.
    Ben schüttelt den Kopf und nuschelt mit vollem Mund: »Schlechtes Timing.«
    Ich schaue aus dem Fenster und fröstele, aber innerlich, nicht, weil mir kalt ist. Ein Windstoß treibt welkes Laub gegen das Fenster. Mrs Wicket erschrickt und legt ihren Toast weg. »Was war das denn? Die Vorhersage hat doch schönes Wetter angekündigt!«
    »Also mich wundert das nicht«, sage ich und kippe noch einen Löffel Zucker auf die Pampe, damit das Zeug halbwegs genießbar wird. »Heute ist schließlich der Neunzehnte.«
    »Jetzt fängt das wieder an!« Aidan lehnt sich zurück. »Geht bloß nicht drauf ein.«
    »Was hat denn der Neunzehnte mit dem Wetter zu tun?«, will Jillian wissen.
    »Das hast du bloß so gesagt, stimmt’s, Des?«, will Mira einlenken.
    »Nichts«, beantworte ich Jillians Frage, »aber heute wird gar nichts schön, das Wetter nicht und auch sonst nichts, verlass dich drauf.«
    »Genau. Können wir jetzt das Thema wechseln?« Aidan kriegt immer Schiss, wenn es um Vorahnungen oder Zufälle oder so was geht.
    »Ich mein ja bloß …« Wozu soll ich ihnen Angst machen? Und wenn ich noch ein Wort sage, würden sie es garantiert mit der Angst zu tun bekommen. Ich weiß über sämtliche Marotten und Ängste unserer Frühstücksrunde Bescheid. Ich weiß, wer unter dem Tisch die Beine übereinanderschlägt und wer wie viel auf dem Teller liegen lässt. Wer wann heimlich zu den anderen rüberschielt und überlegt, ob er überhaupt wahrgenommen wird. Ich weiß, wie oft sich Jillian mit der Serviette den Mund wischt (zweiundzwanzig Mal) und wie oft sich Curtis räuspert (siebzehn Mal), als müsste er erst Mut sammeln, um etwas zu sagen. Ich weiß, wie oft Mira unsicher in die Runde schaut (vierundvierzig Mal) und hofft, dass wir uns alle vertragen. Und wie oft Ben mich anschaut, wenn ich gerade wegsehe (fünf Mal), weil er rauskriegen will, was eigentlich mit mir los ist. Dafür brauche ich mich nicht nach ihm umzudrehen, ich spüre seinen forschenden Blick auch so. Ich weiß das alles, ohne dass ich lange darüber nachdenken müsste. Nach knapp zwei Jahren habe ich mir die Angewohnheiten der anderen sozusagen angeeignet.
    »Diese Isabel!«, sagt Ben. »Das Jahr hat dreihundertfünfundsechzig Tage, und sie wird ausgerechnet heute krank.«
    Ich zerdrücke die Haferbreibatzen am Schüsselrand. Klumpen sind auch nicht schön. Jedenfalls nicht, wenn man sich jeden Morgen damit rumärgern muss.
    Isabel ist nicht meine Freundin. Ich habe in Hedgebrook keine Freunde. Trotzdem machen mich Bens Worte nachdenklich.
    »Du bist so still, Curtis. Du trägst heute Morgen gar nichts zur Unterhaltung bei«, sagt Mrs Wicket und versucht es wieder mit Multitasking: Toast knabbern, Zeitung lesen und dafür sorgen, dass sich in unserer Runde keiner ausgeschlossen fühlt. Curtis schüttelt stumm den Kopf. Er legt Wert darauf, mit uns zusammen zu frühstücken, kriegt aber außer zum Essen kaum die Zähne auseinander, wenn ihm Mrs Wicket nicht irgendeine Bemerkung geradezu in den Mund legt.
    »Und Faith? Wo steckt die?«, erkundige ich mich.
    Mrs Wicket lässt die Zeitung sinken und späht über den Rand ihrer Lesebrille.
    Ben sieht erst mich an und dann Mrs Wicket. Die setzt sich kerzengerade auf. Aidan kann ihre Körpersprache anscheinend nicht deuten, denn er platzt heraus: »Die ist doch
schwanger
, bist du blind? Sie verlässt demnächst die Schule.«
    Jeder hat mitgekriegt, dass Faith täglich runder wurde. Weil wir alle Sexualkundeunterricht gehabt hatten, war uns auch sonnenklar, woher das kam.
    »Aber …«
    »In Hedgebrook wird nicht getratscht«, sagt Mrs Wicket streng.
    »Doch«, sagt Jillian.
    »Aber nur manchmal«, greift Mira ein.
    »Und warum muss Faith deswegen die Schule verlassen?«, frage ich.
    »Wir sind hier nicht so auf Säuglinge eingestellt«, antwortet Mrs Wicket.
    »Muss der Junge auch gehen?«
    »Es ist keiner von unseren Schülern.«
    »Auf welcher Schule er auch ist, er kriegt bestimmt nicht mal eine Verwarnung«, sagt Jillian.
    Es wird dunkler im Saal, aber das merke anscheinend nur ich. Dann wird es wieder heller, als wäre eine Wolke an der Sonne vorbeigezogen. Ganz kurz scheint alles stillzustehen, meine Mitschüler gleichen den Steinfiguren draußen im Park. Ich betrachte sie nacheinander und denke, wie schnell es gehen kann, dass etwas Unbeeinflussbares wie Wind, Wolken oder andere Menschen in ihr Leben eingreift.
    Mira schaut mich an.

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