Ein Tag und zwei Leben (Episode 3)
verbessert zu haben.
»Wer will als nächstes?«
Damian hält das Mikro in alle Richtungen, aber niemand scheint sich den Folge-Act zu seiner Performance zuzutrauen. Ute und Karin, die ihre Bewunderung für Damian nicht mal mehr im Ansatz verstecken, wirken auf mich wie Groupies auf einem Justin – fast hätte ich Bieber gesagt, aber das hat Damian nicht verdient! – Timberlake Konzert.
»Na, Lea? Wie wäre es mit dir?«
Ich schüttele den Kopf, weil ich noch nicht sprechen kann, aber sogar Tobi stupst mich liebevoll in die Seite.
»Los, kommt schon Schatz. Trau dich.«
»Und ich weiß auch schon, was du singst!«
Damian drückt mir das Mikrofon in die Hand und ich erkenne sein geheimnisvolles Lächeln auf seinem Gesicht. Es bricht mir das Herz, weil er noch immer glaubt, es wäre eine weitere öde Party, die er retten muss. Für mich. Damit die Leute danach sagen: »Bei Lea Silvester zu feiern, das war der Hammer!« Sie werden es sagen. Es wird aber nicht an mir liegen. Oder am Essen. Nicht mal am Karaoke-Spaß. Es liegt an Damian, der voller Tatendrang und mit frechem Grinsen alle Leute verzaubert. Solche Menschen gibt es. Sie retten jede Party, jeden vermasselten Urlaub und verwandeln jede Autopanne auf der A8 in eine erinnerungswürdige Auszeit vom Alltag. Obwohl er hier ist, direkt in meinem Wohnzimmer, fehlt er mir jetzt schon.
»Ein Duett!«
Seine Hand greift nach meiner. Bevor Tobi oder ich reagieren können, zieht er mich von der Couch zu sich und strahlt mich noch immer an. Ein Duett! Mit ihm. Schon vor der ersten Note, die aus den Lautsprechern klingt, weiß ich, welches Lied er gewählt hat. Was er nicht weiß – er wird damit eine Erinnerung in mir wecken, die jedes Mal, wenn dieser Song im Radio läuft, eine Welle an Emotionen an die Oberfläche spült. Die Gänsehaut ist da, bevor ich sie aufhalten kann. Damian steht so dicht vor mir, dass alles andere um mich herum verschwimmt … Auch Tobi … Alles fühlt sich wie ein Abschiedsgeschenk an. Dieser Abend wird mehr bringen, als nur den Abschied vom Jahr 2013. Ein letztes Mal vielleicht … Damian greift nach meiner Hand und legt mit seinen Zeilen los. Seine Lippen bewegen sich, sein Blick tanzt über mein Gesicht und er bewegt sich im Takt der Musik. Ich spüre nur noch seine Hand in meiner und halte sie fest.
Will nix tun,
was du später mal bereu’n wirst,
doch heut’ Nacht
brauch' ich ein bisschen mehr als Freundschaft …
Damian zwinkert mir zu, als mein Part einsetzt und ich ganz automatisch mitsinge. Weil ich den Text in- und auswendig kenne. Weil es unser Lied wurde. In all den Jahren haben wir es im Schlosspark liegend und in der Sonne dösend vor uns hingesungen. Wir haben es betrunken auf dem Nachhauseweg gesungen, so laut wir nur konnten. Wir haben es auf dem Konzert der Band Freundeskreis gesungen, als Damian mich auf den Schultern in der Menge getragen hat. Es passt viel zu gut zu uns – das wird mir jetzt gerade wieder bewusst. Nicht nur mir, denn aus dem Augenwinkel erkenne ich Tobi, der von der Couch aufsteht und das Wohnzimmer verlässt. Aber ich kann Damian noch nicht loslassen. Nicht bei diesem Lied. Noch nicht …
Simone tippt genervt auf ihrem Handy, sieht zu mir, und als unsere Blicke sich treffen, ist eine Sache klar: wenn ich Damian nicht bald loslasse, dann bekommen auch die beiden nie eine echte Chance. Sie ist nicht die Richtige für ihn. Das wird sie niemals sein, aber solange ich hier stehe und die Hand ihres Freundes halte, wird er niemals den Blick so scharf stellen, um Simone eine ehrliche Chance zu geben.
Mit Dir bleibt die Welt stehen,
werden wir uns wiedersehen,
auch wenn sie sich morgen weiterdreht?
Eine verdammt gute Frage.
22:05 Uhr
Wenn Kopf und Herz Krieg gegeneinander führen, hat man keine Chance. Jede Entscheidung ist wie eine Schlacht und hinterlässt Narben, zerstörte Gefilde und verletzte Gefühle. Es gibt keine Gewinner. Tobi sitzt im Treppenhaus und spielt mit dem Schlüsselbund in seiner Hand, als ich mich neben ihn setze.
»Hi.«
»Hm.«
»Es war nur ein Lied.«
Er glaubt mir nur, weil er das will, denn besonders überzeugend klinge ich nicht. Es war nicht nur ein Song, den wir beim Karaoke gesungen haben, es war eine Zeitreise zu vielen Erinnerungen, die immer wieder in einen Winterschlaf fallen und bei diesem Song lebendig aufspringen, tanzen und die Verwirrung perfekt machen.
»Ich habe mir das jetzt eine ganze Weile angesehen, Lea.
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