Ein Tag und zwei Leben (Episode 3)
und schenkt mir ein kurzes Lächeln.
»Du musst wissen, was du willst. Dann klappt alles wie von alleine!«
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Mein Wunsch klingt dabei so simpel. Ich will mich nicht verabschieden müssen. Von keinem der beiden. Ich hasse Abschiede, weil ich darin einfach richtig mies bin. Zu viele Menschen musste ich loslassen, auch wenn ich es nicht wollte. Zu viele Abschiede, zu wenig Zeit. Deswegen klammere ich mich mit aller Kraft an die Menschen, die mir geblieben sind, die ich an mich rangelassen habe und deren Abschiede meine Welt ins Wanken bringen würden. Sicher, Damian würde nicht für immer und nicht gänzlich aus meinem Leben verschwinden, aber es wäre nicht mehr so, wie es jetzt ist. Kann ich ihn noch immer nachts um drei Uhr anrufen, weil ich reden möchte – und weil nur er versteht, welchen Unsinn ich von mir gebe?
Eine verfrühte Rakete zischt über unsere Köpfe und ich beobachte die bunten Funken, die sie am Himmel hinterlässt. Bei Tobi habe ich noch nie wirklich über Timo gesprochen. Geschweige denn vor ihm deswegen geweint. Nein, in Tobis Augen habe ich den Tod meines Bruders gut überstanden und mein Leben wieder im Griff. Das soll er auch denken, ich will nicht, dass er sich mit meinen Problemen rumschlagen muss. So was belastet jede Partnerschaft und es ist ja auch nicht richtig. Ich komme damit alleine klar. Meistens … Und immer dann, wenn es nicht mehr geht, dann rufe ich Damian an. Nur wenige Minuten später, steht er mit einer Packung Eis und einem neuen Musikmix vor meiner Tür und nimmt mich wortlos in den Arm. Ich will dann nur gehalten werden und Damians Umarmung ist dafür einfach perfekt. Er hält mich nie zu fest, er hält mich immer genau richtig. Weil er weiß, was ich brauche. Zu dumm, wenn man so was für selbstverständlich in seinem Leben angesehen hat. Dann trifft einen die Tatsache, dass genau diese Unterstützung eines Tages nicht mehr sein kann, verdammt hart.
Tobi streckt mir die Hand entgegen und lächelt. Er lächelt verdammt viel heute. Sonst ist er oft mürrisch und nuschelt seine Beschwerden durch den Tag. Das finde ich sexy. Heute lächelt er. Weil 2014 unser Jahr werden wird, und weil er das kriegt, was er sich wünscht.
»Komm schon, wir müssen uns beeilen!«
Also lächele ich auch. Obwohl ich nicht das bekommen werde, was ich mir wünsche.
23:37 Uhr
Der Schlossplatz ist überfüllt, weil die grandiose Idee, hier ins neue Jahr zu rutschen, nicht besonders ausgefallen ist. Zu viele Menschen drängen sich jetzt dicht an dicht in der Hoffnung, hier den Start in ihr Jahr 2014 zu erleben. Ein Jahr, an das sie sich immer erinnern werden. Zu viele dieser Menschen sind schon deutlich angetrunken und ich sondere mich sicherheitshalber an den Rand ab. Ich mag weder das Böllern noch zu große Menschenmassen. In sicherer Entfernung kann man das neue Jahr schließlich auch feiern. Tobis sorgenvoller Blick trifft mich.
»Alles okay?«
»Klar. Ich mag das doch nicht besonders. Das weißt du.«
»Okay. Ich bin gleich hier, wenn du mich brauchst.«
»Danke.«
Zu wissen, dass Tobi gleich hier ist, falls ich ihn brauche, das tut gut. Dennoch wandert mein Blick durch die Menge am Schlossplatz. Wenn schon halb Stuttgart hier ist, wieso dann nicht auch er? Es reicht mir schon, ihn nur zu sehen. Zu wissen, dass er in der Nähe ist, wenn das neue Jahr beginnt. Es ist peinlich, fast albern, aber wir haben jedes Jahr zusammen Silvester gefeiert, seitdem wir uns kennen. Die erste – okay, zumindest die zweite – Umarmung galt immer ihm. Immer … Der erste Jahreswechsel ohne Timo, als wir auf dem Dach eines Hochhauses am Stadtrand gefeiert haben … Nur er und ich. Kein Feuerwerk … Nur wir und der Himmel direkt über uns, so nah, als könnte man ihn berühren … Als wäre sogar Timo da und alles nur halb so schlimm … Jetzt sind weder Timo noch Damian da. Und das fühlt sich verdammt nach Leere an!
Eine Hand packt meinen Arm und zieht mich noch weiter an den Rand, weg von der Menge, einige Stufen nach oben. Mein Körper steht binnen Millisekunden unter Strom. Ich drehe mich um, obwohl ich weiß, wer es ist.
Damian!
Er zieht mich in den Schatten des Gebäudes und ich muss lächeln, ohne zu wissen, was er sagen oder tun wird.
»Was machst du denn hier?«
Silvester feiern, mit der Stadt und mit mir. Was für eine dämliche Frage! Ich muss nur etwas Zeit gewinnen, um dem Gefühlskarussell in meinem Kopf die Chance für einen
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