Ein Tag und zwei Leben (Episode 3)
aller Macht gegen die Zeit, die weiter tickt.
»Geh nicht weg, Damian!«
»Niemals.«
21:47 Uhr
»She'll tease you, she'll unease you,
All the better just to please you.
She's got Bette Davis eyes ...«
Es klingt ungefähr so, als ob jemand seine Fingernägel über eine Schultafel kratzen lässt. Dennoch klatschen alle um mich herum begeistert im Takt. Da liegt der Unterschied zwischen den nüchternen Partygästen und den angetrunkenen Genossen, die auch jede noch so schräge Note mit Begeisterung feiern. Damian hält das Mikrofon so lässig wie Robbie Williams in seinen besten Tagen. Auch sein Charme kommt Mr. Let Me Entertain You ziemlich nahe, denn er flirtet was das Zeug hält mit allen Anwesenden. Tobi sitzt neben mir auf der Couch, die Arme verschränkt, die Laune mies, der Blick genervt. Ich weiß, warum. Es ist so deutlich, man könnte es fast greifen, wenn es nicht doch nur ein Gefühl wäre. Ich lege ihm meine Hand auf den Oberschenkel, so wie er es vorhin am Tisch bei mir gemacht hat.
»Willst du nicht auch singen?«
Er schüttelt nur den Kopf und so lehne ich mich etwas weiter an ihn ran. Eine Sache geht mir nach wie vor nicht aus dem Sinn.
»Hast du ihm gesagt, wir hätten Sex unter der Dusche gehabt?«
Tobi reagiert nicht auf meine Frage, starrt weiter zu Damian, als wolle er ihn vernichten. Damian lässt sich davon scheinbar nicht aus der Ruhe bringen, denn er singt voller Elan den nächsten Refrain und erntet wieder tosenden Beifall. Dabei beugt sich Damian zu Simone, die zu beschäftigt mit ihrem Handy scheint. Sie wäre aber keine Frau, wenn sie nicht auch reagieren würde. Seine Hand greift nach ihrer, sie zeigt erste Anzeichen des debilen Lächelns, das man bekommt, wenn Damian flirtet. Ich kenne das … So wird es immer sein. So war es doch auch schon immer. Er ist bei Simone, ich sitze neben Tobi.
»Also, hast du ihn angelogen, Tobi? Ja oder nein?«
»Ja. Ich dachte, ich wimmel ihn ab.«
»Wir hatten keinen Sex unter der Dusche!«
»Wir hätten welchen haben können.«
Da mag er recht haben. Stattdessen hatten wir an dem Tag aber Streit. Streit darüber, wieso er Damian weggeschickt hat. Als ich mit nassen Haaren und Hausschuhen die Suche aufgenommen hatte, war Damian schon weg. Und nur ein zerknülltes Stück Papier lag auf der Straße, direkt vor meiner Tür. Der Comic … Eine Geschichte, die ich nicht kenne, weil sie nie passiert ist. Eine Geschichte zwischen Damian und mir, die er gezeichnet hat.
»Du musst ihn loslassen.«
Tobi lacht bitter auf, als wäre mein Vorschlag idiotisch, dabei meine ich es ernst. Tobi versteift sich auf Damian als Feindbild, was nicht gerade einfach ist. Für keinen von uns.
»Vielleicht solltest du ihn mal loslassen.«
»Er ist mein bester Freund.«
Tobi setzt sich etwas mehr auf und sieht mich dann. Sein Blick ist ernst und macht mir ein bisschen Angst.
»Lea, es ist mein Ernst. Du musst ihn loslassen, wenn das mit dir und mir jemals wirklich funktionieren soll.«
Tobi sieht mich an, erwartet eine Antwort, eine Reaktion, während alle anderen im Raum Bette Davis’ Augen besingen. Was soll ich tun? Damian einfach so vor die Tür setzen? Das erwartet Tobi gar nicht. Nein – er will, dass ich ihn loslasse, jeden Tag ein bisschen, bis er nur noch ein Gesicht auf den Straßen Stuttgarts ist, dem ich zunicke, wenn wir uns am Palast der Republik im Sommer zufällig treffen. Wenn er in dieselbe S-Bahn steigt und mir schräg gegenüber sitzt. Damian soll eine Erinnerung werden.
»Das geht nicht.«
Tobi nickt, mit einer solchen Antwort hat er wohl gerechnet. So wie er es aufnimmt, habe ich es aber nicht gemeint.
»Nicht sofort.«
Zeit … Ich muss Zeit gewinnen … Zeit, um die aufsteigenden Tränen wieder runterzuschlucken … Zeit, um zu verstehen, was Tobi da gerade von mir verlangt.
»Aber du machst es?«
Hoffnung flackert durch seine Augen, Teile in mir zerbrechen. Mein Kopf nickt, mein Herz schreit: ,Nein!’ Zu spät … Will ich Tobi nicht verlieren, muss ich Damian loslassen. Tobis Lächeln überstrahlt alle Raketen, die heute noch in den Himmel geschossen werden und er küsst mich. So wie er mich schon lange nicht mehr geküsst hat und so, wie ich es vermisst habe.
»Danke, Schatz.«
Genau. Danke. Wie hoch darf der Preis sein, den man zahlt, um den Menschen an seiner Seite glücklich zu machen?
Der Song hinter uns endet und das Gejohle ist groß. Tobi stimmt mit ein, seine Laune scheint sich schlagartig
Weitere Kostenlose Bücher