Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
geschieht zur sozialen Absicherung: Wenn, was Gott verhüte, einem der Soldaten etwas passiert, hat die Familie Anspruch auf alle Zahlungen und Vergünstigungen. In Wladikawkaz bekommen die Leute Uniformen, die Waffen selbst werden erst in Dzhawa ausgegeben. Zum Stand Sonnabendmorgen sind ungefähr anderthalbtausend Mann losgeschickt worden. Jetzt werden Munition und Schusswaffen dorthin transportiert – Maschinengewehre, Maschinenpistolen, Granatwerfer. Was die Gefallenen angeht, haben wir keine genauen Zahlen – ich gehe von etwa hundert aus. Neben den offiziell einberufenen Reservisten gibt es auch Freiwillige. Sie werden nicht den ossetinischen Einheiten eingegliedert. Etwa dreihundert Tschetschenen sind auf dem Weg, wir werden sie vielleicht beim Wehrkreisamt von Nordossetien registrieren können. Es gibt Freiwillige aus Wolgograd, Afghanistan-Veteranen. Dreitausend Dagestaner warten auf offizielle Genehmigung – ihr Vertreter ist gerade hier und spricht mit der Regierung. Wie durchlässig die Grenze ist, kann ich nicht sagen, aber Reservisten konnten sie bislang problemlos passieren.»
Morgens um zehn am Freiwilligensammelpunkt das übliche Durcheinander. Nach Zchinwali melden sich weniger, als man hätte erwarten können, vielleicht zweihundert Mann. Überhaupt hat man in Wladikawkaz den Eindruck, dass die Leute Südossetien in jeder Hinsicht unterstützen – übrigens wird hier nicht nach Süd und Nord geteilt, man sagt einfach Ossetien, Alanien –, aber nicht den eigenen Kopf riskieren wollen. Eine Massenbewegung ist nicht zu beobachten. Die Mehrzahl der Leute fährt übrigens nicht über die Wehrkreisämter, sondern auf eigene Faust; aber auch hier kann von einem Andrang nicht die Rede sein.
Ich ziehe Uniform an und melde mich als Freiwilliger beim dritten Zug. In der Liste habe ich die Nummer zwölf. Ich bin der Letzte. Insgesamt werden vier Züge aufgestellt. Die restlichen werden morgen losgeschickt.
Nach den Worten von Zilim Watajew, Chef des gesellschaftlichen Stabs, ist die Aushebung von Freiwilligen für Zchinwali zurzeit eingestellt. Die Weisung dazu kam in der Nacht zuvor. Offiziell sind wir jetzt eine Rettungsbrigade. Unsere Aufgabe ist, die Zivilbevölkerung zu unterstützen und bei der Evakuierung von Flüchtlingen und der Wiederherstellung der Infrastruktur der Stadt Hilfe zu leisten.
Die Freiwilligen bestehen hauptsächlich aus Osseten, wenngleich auch ein paar Kosaken mit Mützen und Peitschen dabei sind sowie der ein oder andere Russe. Drei oder vier davon mit eigener Waffe – Kalaschnikoff-Maschinenpistolen. Allgemeine Stimmung: Wir ziehen für unsere Heimat in den Kampf.
Die bemerkenswerteste Figur – ein russischer Friedenssoldat mit blauem Auge, Matrosenhemd, Barett, greller Tarnjacke und Schnapsfahne. Er war im Urlaub und versucht jetzt, zu seinen Leuten zurückzukommen. Ausländische Journalisten fliegen auf ihn wie Bienen auf den Honig. Er gibt bereitwillig Interviews. Das Gesicht Russlands, sozusagen.
Im Stab gucken sie ihn schief an, verstecken ihn aber nicht vor den Journalisten – dreht ruhig, zum Teufel, wir sind offen für die Medien. Mir als Journalist sagt das viel. Wenn die Menschen sich nicht vor Fragen drücken und nichts verbergen wollen, heißt das, sie fühlen sich im Recht.
Schon in der zweiten Tageshälfte fahren wir los. Fünf, sechs Busse. Sie kursieren ständig, auf der Hinfahrt mit Freiwilligen, Brot und – vor allem – Wasser, auf der Rückfahrt mit Frauen und Kindern. Für unseren Fahrer ist es schon die zweite Tour heute und bestimmt nicht die letzte.
Die schmale, zweispurige Straße schlängelt sich durch eine Gebirgsschlucht. Ossetien ist wunderschön. Die Berge sind niedriger als in Tschetschenien, deshalb weniger streng. Irgendwie ist mehr Leben hier, mehr Friedlichkeit. Alles begrünt. Viel Sonne.
Ab Alagir ist die Straße von Militärgerät versperrt. Die 58 . Armee ist unterwegs. In voller Stärke, glaube ich. Die Kolonne erstreckt sich über hundert, wenn nicht mehr Kilometer. Viele liegengebliebene Fahrzeuge. Alles wie immer – die Technik ist in beschissenem Zustand. Ich habe etwa zehn umgekippte Fahrzeuge gezählt. Zwei zivile Ural-Laster, die zusammen vom Steilhang gekippt sind. Die Fahrerkabinen aufgeschlitzt. Das heißt, es gibt schon nichtmilitärische Verluste.
An der Grenze lassen sie jeden durch, ohne Fragen zu stellen, Hauptsache, man hat einen Pass. Die einzige Frage ist die nach Waffen. Aber nicht um sie
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