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Ein Tag wie ein Leben

Ein Tag wie ein Leben

Titel: Ein Tag wie ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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Freundinnen auch im Gedanken an mich ausgesucht hat, und es ist sehr
angenehm für mich, dass deshalb bei Dinnerpartys immer ein Gesprächspartner für mich dabei ist. Wäre Jane nicht in mein Leben
getreten, würde ich heute garantiert ein zurückgezogenes Mönchsleben führen.
    Aber da ist noch etwas: Ich bin immer wieder sprachlos, wenn ich
sehe, wie leicht es Jane fällt, ihre Gefühle zu zeigen. Wenn sie traurig ist, weint sie, wenn sie sich freut, strahlt sie über das ganze Gesicht. Am glücklichsten ist sie, wenn man sie mit etwas Schönem
überrascht. Sie besitzt eine fast kindliche Unschuld, und obwohl logischerweise das Wesen einer Überraschung darin liegt, dass man
nicht darauf vorbereitet ist, kann bei Jane die Erinnerung an eine angenehme Überraschung noch Jahre später dieselben Gefühle hervorzaubern. Wenn ich beobachte, dass sie vor sich hin träumt, frage ich
sie manchmal, was sie gerade denkt, und dann erzählt sie mir ganz
begeistert eine Geschichte, die ich schon lang vergessen habe. Das
verblüfft mich jedes Mal.
    Jane hat ein unglaublich weiches Herz, aber in vielerlei Hinsicht ist
sie stärker und robuster als ich. Sie hat feste Überzeugungen und
Wertvorstellungen, die von ihrem Glauben an Gott und an die Familie geprägt sind, wie bei den meisten Frauen hier in den Südstaaten.
Sie unterteilt die Welt in Gut und Böse, in Richtig und Falsch. Ihre
Entscheidungen trifft sie aus dem Bauch heraus - und liegt damit fast
immer richtig, wohingegen ich sämtliche Alternativen abwägen muss
und mir dadurch häufig selbst ein Bein stelle. Im Gegensatz zu mir
quält sich meine Frau fast nie mit Selbstzweifeln. Was andere Leute
über sie denken, kümmert sie nicht. Um diese innere Sicherheit beneide ich sie ganz besonders.
    Ein paar der Unterschiede zwischen uns rühren wahrscheinlich daher, dass wir aus ganz verschiedenen Verhältnissen stammen. Jane ist
mit drei Geschwistern in einer Kleinstadt aufgewachsen. Ihre Eltern
waren immer für die Kinder da und haben sie über alles geliebt. Ich
komme aus Washington, D.C. bin ein Einzelkind, meine Eltern waren beide Rechtsanwälte, die für die Regierung arbeiteten und selten
vor sieben Uhr abends nach Hause kamen. Deshalb habe ich nach der
Schule viel Zeit allein verbracht, und bis zum heutigen Tag fühle ich
mich in der Abgeschiedenheit meines Arbeitszimmers am wohlsten.
    Dass wir drei Kinder haben, erwähnte ich bereits. Ich hänge sehr an
ihnen, aber ich glaube, sie fühlen sich meiner Frau viel enger verbunden als mir. Jane hat sie geboren und großgezogen, und sie sind
immer gern mit ihr zusammen. Manchmal bedaure ich es zwar, dass
ich bei weitem nicht so viel Zeit mit ihnen verbracht habe, wie ich
mir gewünscht hätte, aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass
Jane meine Abwesenheit mehr als wettgemacht hat. Unsere Kinder
sind gut geraten, finde ich - trotz meiner geringen Beteiligung. Inzwischen sind sie erwachsen und wohnen längst nicht mehr zu Hause, aber glücklicherweise ist nur eins von ihnen in einen anderen
Bundesstaat gezogen. Unsere beiden Töchter besuchen uns regelmäßig, und meine Frau achtet darauf, dass wir die Sachen, die sie am
liebsten essen, stets im Kühlschrank vorrätig haben, falls sie bei ihren Besuchen plötzlich Hunger bekommen, was allerdings nie der
Fall zu sein scheint. Wenn sie bei uns sind, reden sie immer stundenlang mit Jane.
    Anna, unsere Älteste, ist jetzt siebenundzwanzig. Sie hat schwarze
Haare und dunkle Augen. Als Jugendliche wirkte sie oft fast
schwermütig, was gut zu ihrem Äußeren zu passen schien. Sie grübelte viel und schloss sich die meiste Zeit in ihrem Zimmer ein, um
melancholische Musik zu hören und Tagebuch zu schreiben. In jenen
Jahren hatte ich immer wieder das Gefühl, sie gar nicht zu kennen.
Es konnte passieren, dass sie in meiner Gegenwart tagelang kein einziges Wort sprach, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, warum.
Ich konnte sagen, was ich wollte - sie seufzte nur und schüttelte verdrossen den Kopf, und wenn ich wissen wollte, was ihr die Laune verdorben habe, starrte sie mich an, als hätte ich eine völlig absurde
Frage gestellt. Meine Frau schien das alles nicht weiter aufzuregen.
Sie sagte immer, das sei eben eine Phase, die viele junge Mädchen
durchmachten. Aber sie hatte gut reden, denn mit ihr unterhielt sich
Anna ja trotz allem. Wenn ich an Annas Zimmer vorbeiging, hörte
ich manchmal, wie Mutter und Tochter miteinander tuschelten,

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