Ein Tag wie ein Leben
wie sich in der einsamen Dünenlandschaft von Cape Hatteras, dieser halbmondförmigen Insel vor der Küste North Carolinas,
die Wellen des Ozeans brechen und salzige Gischt aufspritzt. Letzte
Woche hatte ich einen Kloß in der Kehle, nur weil ich beobachtet
habe, wie ein kleiner Junge Schutz suchend nach der Hand seines
Vaters tastete, während sie den Gehweg entlanggingen. Ich könnte
noch andere Situationen beschreiben: Zum Beispiel verliere ich jedes
Zeitgefühl, wenn ich den Wolken nachschaue, die der Wind vor sich
her treibt. Und sobald ich Donnergrollen höre, renne ich ans Fenster,
weil ich unbedingt mitbekommen will, wie der nächste Blitz den
Himmel erhellt - und dann erfasst mich immer eine unbeschreibliche
Sehnsucht, ein heftiges Verlangen, von dem ich gar nicht sagen kann,
wonach.
Ich heiße Wilson Lewis, und dieses Buch ist die Geschichte einer
Hochzeit. Und die Geschichte einer Ehe. Obwohl Jane und ich seit
dreißig Jahren zusammenleben, gibt es bestimmt viele Leute, die
wesentlich mehr von der Ehe verstehen als ich. In dieser Beziehung
kann von mir niemand etwas lernen, und ich vermag keine guten
Ratschläge zu erteilen. Ich habe mich schon oft egoistisch und eigensinnig verhalten, und gelegentlich bin ich ahnungslos wie ein Goldfisch im Aquarium - und diese Selbsterkenntnis macht mir sehr zu
schaffen. Rückblickend würde ich allerdings sagen, dass ich eine Sache richtig gemacht habe: Ich habe meine Frau immer geliebt, und
ich liebe sie bis heute. Viele würden jetzt vielleicht einwenden, das
sei doch eine Selbstverständlichkeit und deswegen nicht weiter erwähnenswert. Aber es ist noch gar nicht so lange her, da war ich fest
davon überzeugt, dass meine Frau diese Gefühle nicht mehr erwidert.
In jeder Ehe gibt es Höhen und Tiefen, das ist klar, und ich glaube,
bei Paaren, die lange zusammen sind, gehört dieses Auf und Ab einfach dazu. Wie vieles haben meine Frau und ich gemeinsam durchgestanden! Den Tod meiner Eltern, den Tod ihrer Mutter, die Krankheit ihres Vaters. Wir sind vier Mal umgezogen, und bei allem beruflichen Erfolg meinerseits mussten wir doch auch zahlreiche Opfer
bringen, um unseren Lebensstandard zu sichern. Wir haben drei Kinder, und die Erfahrung, Kinder großzuziehen, würden wir gegen
nichts auf der Welt eintauschen, auch nicht gegen die Schätze eines
Tutenchamun - aber die schlaflosen Nächte, die unzähligen Fahrten
zum Arzt und ins Krankenhaus, als die Kinder noch kleiner waren,
haben doch sehr an unseren Kräften gezehrt und uns oft regelrecht
überfordert. Dass ich die Pubertätsjahre nicht unbedingt noch einmal
durchmachen möchte, brauche ich vermutlich nicht weiter zu begründen.
Diese Dinge bringen alle ihre spezifischen Probleme mit sich, und
wenn zwei Menschen zusammenleben, teilen sie Tag für Tag den
Stress. Meiner Meinung nach liegt darin sowohl der Segen als auch
der Fluch einer Ehe. Es ist ein Segen, weil man immer ein Ventil hat,
um Dampf abzulassen und die Alltagssorgen loszuwerden. Es ist ein
Fluch, weil das Ventil ausgerechnet die Person ist, die man am liebsten mag.
Warum erwähne ich das? Weil ich unterstreichen möchte, dass mir
trotz allem während der ganzen Zeit niemals Zweifel an meinen Gefühlen für meine Frau gekommen sind. Natürlich gab es Tage, an
denen wir uns am Frühstückstisch gegenübersaßen und uns angeschwiegen haben, doch selbst in den Momenten habe ich uns als Paar
nicht infrage gestellt. Ich will nicht so tun, als hätte ich mir nie ausgemalt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich eine andere Frau
geheiratet hätte, aber ich habe nie bedauert, dass ich mich für Jane
entschied - und sie sich für mich. In meinen Augen war unsere Beziehung immer unverhandelbar und absolut stabil. Doch dann musste
ich auf einmal erkennen, dass ich mich geirrt hatte. Darauf war ich
nicht vorbereitet. Diese schmerzhafte Erkenntnis liegt jetzt ein gutes
Jahr zurück - vierzehn Monate, genauer gesagt -, und sie hat einen
Prozess in Gang gesetzt, der vieles andere nach sich zog.
Was damals passiert ist, fragen Sie?
Wenn man bedenkt, dass ich mich in den so genannten besten
Mannesjahren befinde, könnte man auf die Idee kommen, dass alles
nur mit meiner Midlifecrisis zusammenhing. Hat mich womöglich
plötzlich der Wunsch gepackt, mein Leben radikal umzukrempeln?
Oder habe ich mich zu einem Seitensprung verführen lassen? Nein,
nein, nichts dergleichen. Es hätten viele Katastrophen eintreten können, um
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