Ein Tag, zwei Leben (German Edition)
besänftigen.
» Er sagte, dass es ein großer Vorteil ist, wenn man eine andere Sprache sprechen kann. Dass man diese Fähigkeit immer bei sich hat, wenn man sie erst einmal erworben hat.« Ich starrte ins Leere.
Der Kellner hatte recht. Eine Sprache konnte man überallhin mitnehmen.
Ich kann beim besten Willen nicht sagen, was für einen Film Dex und ich anschauten. Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendetwas davon gesehen zu haben – ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich meinen überbordenden Gedanken nicht völlig auszuliefern. Dex schien das nicht zu merken. Oder vielleicht doch und er wusste einfach nicht, was los war. Wie auch immer – hinterher fuhr er mich nach Hause und ich tat mein Bestes, Small Talk mit ihm zu betreiben. Als er vor unserem Haus anhielt, wurde es bereits dunkel und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm nicht den Tag – oder die Aufmerksamkeit – geschenkt hatte, die er sich offenbar vorgestellt hatte.
Er lief ungewöhnlich schweigsam neben mir her zur Haustür.
Als ich stehen blieb und mich zu ihm umwandte, legte er den Kopf auf die Seite. » Geht es dir gut, Sabine?«
Ich nickte. » Ja, alles okay. Ich glaube, ich bin einfach nur ein wenig müde nach der Party am Freitag und … ich weiß auch nicht – nervös, weil wir bald mit der Schule fertig sind.«
Er atmete aus. » Ja. Veränderungen können einem Angst machen. Aber es hat keinen Sinn, sich an Dinge zu klammern, nur weil es Furcht einflößend ist, einen Sprung zu machen und weiterzuziehen. Wenn man das erst mal begriffen hat, schaut man selten zurück. Man muss nur erkennen, wann die Zeit reif dafür ist.«
Die Sache ist, ich war vollkommen einverstanden mit dem, was Dex da sagte. Ich wusste nur nicht, was das für mich bedeutete – oder für meine Leben.
Ich beugte mich ein wenig vor, und er reagierte, indem er den Abstand zwischen uns schloss und mir einen Kuss gab. Er dauerte bis Sekunde acht, dann wandelte ich das Ganze in eine Umarmung um.
» Andererseits«, sagte Dex keck, » ist es manchmal wichtig, an den guten Sachen festzuhalten. Und du bist meine gute Sache, Sabine. Ich werde dich niemals gehen lassen. Ich freue mich darauf, weiter zu gehen … in unsere Zukunft. Es gibt ein paar Dinge, bei denen ich überglücklich sein werde, wenn wir sie beide hinter uns lassen.«
Ich war froh, dass wir uns gerade umarmten, so bemerkte er nicht, dass ich schauderte. Ich wusste, dass er von unserem immer näher rückenden Abschlussabend sprach; dass er mir auf seine Weise sagen wollte, dass er » es« noch nie getan hatte. Da war ich im Wesentlichen schon selbst dahintergekommen. Wir waren schon seit zwei Jahren zusammen, und Dex war nicht der Typ, der einen betrog. Er war verständnisvoll und geduldig, und ich wollte mich ihm ganz hingeben, doch dann stellte ich mir plötzlich vor, wie wir uns durch unser erstes Mal fummelten, und ich runzelte unwillkürlich die Stirn. Doch plötzlich veränderte sich wie aus dem Nichts dieses Bild in meinem Kopf und die Person auf diesem Bild wurde eine andere – was mich ziemlich überraschte.
Ich schob den Gedanken beiseite. Das wollte ich ganz bestimmt nicht. Ich weiß nicht, wie sich Ethan plötzlich in meine Gedanken geschlichen hatte, aber er würde dort nicht bleiben. Er war nicht Teil meines Plans – überhaupt keines Plans. Jetzt musste ich mehr denn je die Sache durchziehen.
Und das bedeutete, dass ich die Tests zu Ende führen musste. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
Ich löste mich aus der Umarmung und sah Dex in die Augen. » Ich auch«, sagte ich, denn es war an der Zeit, sich von ein paar Dingen zu verabschieden.
Und da beschloss ich, dass die Abschlussnacht mit Dex genau der richtige Zeitpunkt wäre, mit dem Rest meines Lebens zu beginnen. Denn wenn der letzte Test so verlaufen würde, wie ich allmählich glaubte, dann wäre der Tag danach in Roxbury … alles würde sich ändern.
Mom deckte gerade den Tisch fürs Abendessen. Nur zwei Teller, was eine Erleichterung war. Ich glaubte nicht, dass ich Ryan oder Lucas heute Abend gewachsen gewesen wäre.
Mom war eine großartige Köchin, aber sie machte am liebsten Süßspeisen. Deshalb aßen wir überbackene Käsesandwiches und danach ihre berühmten Pfirsichtörtchen. Backen gehörte zu den wenigen Dingen, die Mom wirklich beruhigten, deshalb aß ich immer alles gewissenhaft bis zum letzten Krümel auf und versicherte ihr, wie köstlich es gewesen war. Wenn ich es schaffte, sicherte
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