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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hat.

Islamische Erziehung
    Khanom Basir
    S eien wir ehrlich, Saba wäre eine schlechte Mutter. Ihre eigene Mutter wurde von so vielen Dschinn geplagt. Obwohl sie, wie ich zugeben muss, vor der Revolution nicht
völlig
verrückt war. Dann kam 1980 der Irakkrieg. Die Bombardierung Teherans und andere Gräuel hatten noch nicht begonnen – es gab nur Nachrichten, dass junge Leute in Grenzschlachten starben. Aber was Bahareh Hafezi in eine tiefe, tiefe Depression stürzte, war Khomeinis Erlass, dass alle islamisch werden sollten. Diese Nachricht machte sie hysterisch und selbstsüchtig, häufte so viel Schmutz auf ihren Kopf, ließ sie toben und krank werden. Sie vergrub Stapel verbotener Bücher im Hof. Sie dachte, niemand hätte es gesehen, aber ich hab’s gesehen. Sie huschte durch das große Haus, auf der Suche nach irgendwas, das sie unternehmen könnte, um ihre Töchter vor dem zu schützen, was noch kommen würde. Sie hielt ihnen lange Vorträge über die neue Regierung, wie nun alles werden würde und dass sie weiter verbotene Bücher lesen sollten – so verrückt wurde sie. Wenn sie mit ihren Tiraden fertig war, suchte sie wieder nach einer sinnvollen Beschäftigung, und wenn sie keine fand, betete sie alles, was sie gesagt hatte, noch einmal herunter, Wort für Wort, wie so ein irrer Straßenbettler, der andauernd irgendwas wiederholt, als wär’s ein
ayah
aus dem Koran.
    Eines Tages brachte ich den Mädchen einen abgetragenen alten Tschador zum Spielen mit. Sie probierten ihn vor dem Spiegel an, posierten und schafften es irgendwie, ihn sich hinter die Ohren zu klemmen, schwenkten dann den weiten Stoff herum, sodass er wie Flügel flatterte. Es war ein schöner Anblick, kleine Mädchen, die mit einem bunten Ding spielen. Dann kam Bahareh herein, und als sie Mahtab sah, die sich den Tschador gerade umgewickelt hatte, füllten sich ihre Augen mit Zorn. Sie schrie auf. Sie zog den Tschador so heftig von ihrer Tochter weg, dass die Kleine ins Taumeln geriet, und zerriss ihn mit bloßen Händen, die davon ganz rot wurden. Sie nahm die Stofffetzen und stopfte sie draußen in den Müllsack. »Nicht in meinem Haus«, sagte sie, als ob kleine Mädchen so etwas verstehen würden.

Kapitel Sechzehn
    Winter–Frühjahr 1992
    Z wei Tage vor ihrer zweiten Hochzeit wird Saba vom Telefon geweckt. Sie greift in ihre Unterwäsche, wie sie das jeden Morgen tut. Kein Blut; sie atmet aus. Seit einundfünfzig Tagen hat sie nicht mehr geblutet. Khanom Omidi, die nie ein Telefon benutzt, schreit in die Sprechmuschel, wie das Leute in alten Filmen tun. »Du musst sofort kommen.«
    »Weswegen?«, fragt Saba erschrocken. »Was ist passiert?«
    »Das arme Kind … Das arme Alborz-Mädchen ist gestorben. Ich hab
halva
gemacht.«
    Das Zimmer ist still. Sie lässt die Sekunden verstreichen. Ihre beste Freundin hat die Schwester verloren. Welchen Schmerz sie jetzt erleidet. Saba muss zu ihr. Sie wird eine Platzhalterin für Ponnehs Schwester sein, genau wie Ponneh es für Sabas Schwester war. Sie kommt sich töricht vor, weil sie einmal geglaubt hat, dass Ponneh darauf wartet, endlich frei zu sein und heiraten zu können, darauf wartet, dass ihre eigene Schwester stirbt. Wie hat sie das nur denken können, wo doch ihre eigene größte Obsession der Verlust von Mahtab war? Sie berührt ihren Bauch, wo vielleicht gerade ein Baby entsteht, und denkt, dass sie Ponnehs Mutter Essen bringen sollte.
    Dennoch denkt ein selbstsüchtiger Teil von ihr, während sie ins Bad hastet: Was wird jetzt passieren? Reza ist noch nicht verheiratet. Wird er alles absagen und Ponneh heiraten? Seit sie verlobt sind, hat seine Mutter sich geweigert, mit Saba zu sprechen – hat Ausflüchte gemacht und ihr Missfallen durch Freundinnen kundgetan.
Warum hat es keinen richtigen
khastegari
gegeben? Warum hatte seine Familie keine Gelegenheit, die Bedingungen der Heirat auszuhandeln? Sind wir so unbedeutend, dass man sich nicht an die guten Sitten halten muss?
Wenn sie nur von Sabas Babyplänen wüsste.
    Saba kleidet sich achtlos an, nimmt sich kaum die Zeit, ihr Haar zu bürsten, ehe sie Mantel und Kopftuch überwirft und zum Haus der Familie Alborz hastet. Im Haus herrscht lautes Wehklagen. Menschen drängen sich bis hinaus in den Hof, und auf dem Boden stehen überall Teller mit
halva
. Die Frauen sind drinnen bei der Familie, während die Männer draußen bleiben und leise über praktische Dinge reden. Sie

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