Ein Teelöffel Land und Meer
im Haus nichts mitbekommen. Jemand springt schnell zur Tür und schließt sie. »Das ist nicht der richtige Moment für so was, Khanom«, sagt Ponnehs Onkel. »Bitte beherrschen Sie sich. Kommen Sie morgen wieder.«
Khanom Basir lässt die Schultern sinken. Sie atmet schwer und versucht, sich zu beruhigen. »Es bleibt keine Zeit mehr«, flüstert sie heiser. »In zwei Tagen heiratet mein Sohn die Hexe. Es bleibt keine Zeit mehr.« Saba ist wie betäubt vor Fassungslosigkeit und der Angst, dieser Wahnsinn könnte Erfolg haben. Sollte sie etwas sagen? Für sich selbst eintreten oder für den Respekt, den Ponnehs tote Schwester verdient hat?
Ponnehs Onkel redet im Flüsterton auf Khanom Basir ein. Saba vermutet, dass er sie zur Vernunft bringen will. Rezas Mutter schüttelt so heftig den Kopf, dass ihr das Kopftuch bis auf die Schultern rutscht. Ihr Haar ist ungekämmt, ihre Augen sind verzweifelt. Es ist nichts mehr übrig von der faszinierenden Geschichtenerzählerin oder der vernünftigen Mutterfigur, die ihr einst in einer übel riechenden Toilette erklärte, sie könne sich glücklich schätzen, ein Mädchen zu sein. Saba hasst diese abscheuliche Fremde.
Sie bemerkt Khanom Omidis Blick nicht, bis die versucht, sie ins Haus zu ziehen. Aber sie will bleiben. Sie ist voller Angst, dass Reza sich tatsächlich wünscht, noch einmal die Wahl zu haben.
Augenblicke später taucht er auf und begrüßt leise die Männer vor dem Haus, bis er seine hysterische Mutter bemerkt und schnell zu ihr geht. Er zieht sie weg, versucht, sie zu trösten, während die Männer ihm zuflüstern, was sie gesagt hat.
Reza lauscht, und sein Gesicht wird immer teilnahmsloser, je mehr er erfährt. Die Männer beobachten Saba. Einige von ihnen grinsen süffisant, doch die älteren, diejenigen, die ihren Vater kennen, neigen mitfühlend den Kopf. Sie möchte weglaufen. Oder vielleicht sollte sie hingehen und einen von ihnen ohrfeigen, wie Ponneh das bestimmt tun würde. Und dann geht die Tür auf, und Ponneh steht da, von den Frauen geschickt, um herauszufinden, was los ist. Als sie Reza erblickt, dreht sie sich prompt um und will zurück ins Haus, doch Khanom Basir ruft ihren Namen, beginnt wieder zu flehen. Ponneh erstarrt, ihr Gesicht ist bleich. Denkt sie, dass Reza seine Meinung ändern wird? Sie sieht nicht zu Saba herüber, ihrer guten Freundin. Aber sie wagt es, Sabas Verlobtem in die Augen zu sehen, und das vor ihren Freunden und Nachbarn. Reza wartet. Er wirkt ratlos. Er wartet zu lange.
Was liegt da in Ponnehs Gesicht? Erwartung? Vorwurf? Hoffnung? Vielleicht ist sie nur verärgert, weil seine Mutter so eine Szene gemacht hat. Reza scheint unter ihrem Blick zu verkümmern, und obwohl keiner von beiden etwas sagt, kommt Saba das, was sich zwischen ihnen abspielt, wie der allerschlimmste Verrat vor.
Von irgendwo ein Flüstern. Saba versteht ein paar Bruchstücke. »… doch auch nur ein junger Mann … konnte nicht für immer warten.« Und dann sagt jemand etwas lauter: »Mit einer Witwe ist das einfacher, keine Wartezeit.«
»War aber knapp«, sagt einer. »Falls sie ihn nicht mit einer Schwangerschaft erpresst hat.«
Sie versucht, die übermächtige Angst zu verdrängen, dass sie allein nach Hause gehen wird, dass die Hochzeit nicht stattfindet und sie bis auf die Knochen blamiert an Ponnehs und Rezas Hochzeitsfeier teilnehmen muss. Was, wenn Reza sich für Ponneh entscheidet und sie ihr Kind allein großziehen muss?
Mindestens ein Dutzend Leute sind auf dem Gras vor dem Haus versammelt, schauen zu, tuscheln. Khanom Basir setzt sich auf den Rand des Waschbottichs, sodass Regenwasser ihre Kleidung am Gesäß durchnässt. Alle Augen ruhen auf dem Trio, ein spannungsgeladenes Dreieck. Sie starren einander sprachlos an. Saba zählt die Sekunden.
Noch eine,
denkt sie,
und er entscheidet sich für sie. Er denkt genau in diesem Moment darüber nach. Nur noch eine Sekunde, und ich hab ihn verloren.
* * *
Die Sekunden schleichen dahin, und Saba wendet sich zum Gehen, will nur allein sein. Als würde er aus einer Hypnose erstarren, reißt Reza seinen Blick von Ponneh los und läuft zu Saba. Er nimmt ihre Hand und küsst sie vor aller Augen. Ihm ist bewusst, dass er ein Publikum hat, das ist offensichtlich. Dieses Bewusstsein umhüllt ihn wie greifbare, zähe, treibende Schwaden, verlangsamt seine Bewegungen und verhindert, dass Saba seine Lippen auf ihrer Hand spürt. Ein seltsames Unbehagen erfasst sie, als hätte sie eine
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