Ein Teelöffel Land und Meer
Katastrophe überlebt, dabei aber einen Arm oder ein Bein verloren. Was war das da gerade zwischen den beiden? Ein Teil von ihr möchte noch immer davonlaufen, weil sie jedes unausgesprochene Wort zwischen ihren Freunden gehört hat. Sie konnte die Anspannung spüren, als sie einander anschauten, so ganz anders als die vielsagenden Blicke, die sie und Reza sich über
sofrehs
und Marktstände hinweg zugeworfen haben – diese leichtfertigen, neckischen Blicke, die den anderen daran erinnern sollten, was sie alles getan hatten und wieder tun würden. Reza hat Ponneh voller Trauer und Sehnsucht angesehen. Das war nicht bloß Sorge.
Ponneh verdreht die Augen und geht wieder ins Haus, in das sie sich zurückzieht wie eine müde Matrone hinter vertraute handgenähte Vorhänge.
Während Reza seiner Mutter vom Wasserbottich hochhilft und beide sich vom Haus der Alborz mit seinen babyblauen Fensterbänken und schlichten Blumentöpfen entfernen, muss Saba daran denken, dass Ponneh in den letzten Wochen immer gleich gehen wollte, wenn Reza den Raum betrat, und dass Reza sich angewöhnt hat, ständig nach Ponnehs Mutter zu fragen.
Was ist zwischen Ponneh und Reza vorgefallen? Warum sind sie keine Freunde mehr?
Ist Ponneh wegen seiner Entscheidung zornig auf ihn? Ist sie irritiert von dem neuen Reza, der nicht ängstlich und leicht zu beeindrucken ist, kein Junge mehr, dem sie auf der Nase herumtanzen kann? Wahrscheinlich trauert sie einfach um ihre Schwester und möchte ihre besten Freunde wiederhaben. Was, wenn sie die Zeit zurückdrehen und wie früher unbelastet von Ehe oder Affären zusammen in der Vorratskammer sitzen könnten? Bloß drei Freunde, die Gefahr laufen, erwischt zu werden.
Sie möchte den Gestank dieses Tages abspülen. Denn jetzt weiß sie: Trotz allem, was Reza und sie füreinander empfinden, liebt er auch Ponneh.
Nach der Beerdigung springt sofort die Gilaki-Heiratsmaschinerie an, und gleich am nächsten Tag bekommen die beiden älteren Alborz-Mädchen Besuch von eifrigen
khastegars
– Männern, die es so eilig haben, dass sie sich über Anstand und Sitte hinwegsetzen und die Trauerzeit missachten. Wahrscheinlich heimliche Liebhaber, wird im Dorf getuschelt. Die ältere Tochter wird dem Arzt versprochen und ihre Schwester einem anderen guten Bekannten der Familie. Beide Männer spazieren überglücklich und mit stolzgeschwellter Brust durch den Ort, als hätten sie sich vor aller Welt durch ihre göttliche und würdevolle Langmut bewiesen. Liebende, wie es bessere nicht geben könnte. Moderne Rumis und Saadis. Niemand wirbt um Ponneh, die sie schon lange die Jungfrau von Cheshmeh nennen und deren Mutter sie verflucht haben, weil sie zugelassen hat, dass ein so schönes Mädchen seine besten Jahre vertut. Allem Anschein nach verbirgt sich für Ponneh kein
khastegar
im Wartestand hinter den Kulissen. Sie beschäftigt sich mit den Vorbereitungen für die Bestattung der Schwester, empfängt Gratulanten für ihre älteren Schwestern und zieht sich aus der Planung der Basir-Hafezi-Heirat zurück. Manchmal fragt Saba sich, warum ihre Freundin nicht kommt. Und dann rügt sie sich für ihre Dummheit. Vielleicht muss Ponneh dieses eine Mal egoistisch sein.
Am ersten Tag des neuen Jahres, an Nouruz, das die Frühlingstagundnachtgleiche markiert, werden Saba und Reza mit einer traditionellen
aghd
getraut, in Sabas eigenem Haus, das sie einst mit Abbas bewohnte. Sie sitzen unter einem Baldachin und verlesen nicht den Koran, sondern Hafez und Nezami, um ihre jugendliche Rebellion zu demonstrieren, während die beiden Frauen, die als Glücksbringer dienen sollen, über ihren Köpfen riesige Zuckerhüte aneinanderreiben, um sie zu schützen und als Symbol für ein süßes Leben. Saba übersieht geflissentlich, dass ihre Schwiegermutter fahrig auf und ab tigert. »Als Erstes musst du lernen, das lustig zu finden«, sagt Khanom Omidi. »Nimm ihre Boshaftigkeit von der heiteren Seite, dann hast du immer was zu lachen.«
»Es ist Aufgabe der Schwiegermutter,
dschadu
zu machen, um die Braut zu sabotieren«, sagt ihre Tante, Agha Hafezis Schwester. »Das ganze Programm: Haare verbrennen, dies oder das mit Essig tränken, Zucker durch Salz ersetzen. Das soll alles bloß zeigen, dass es ohne Böses nichts Gutes geben kann.«
Saba beschließt, das so hinzunehmen. Rashtis haben die Gabe, alles irgendwie weniger ernst erscheinen zu lassen, weniger schwerwiegend und beunruhigend.
So ist das Leben.
Sie überziehen Schlechtes
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