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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Armen, zwischen ihren Beinen, in ihrem Haar ist und ein abgelegter Walkman in der Ecke flüsternd von einer einsamen Stadt und einer einsamen Straße erzählt, spürt sie ein scharfes Stechen im Unterleib. Sie fragt, ob er die Position wechseln will, aber Reza denkt, dass es ihr um seine Lust geht, küsst sie und macht weiter. Eine Minute später blickt er nach unten auf ihre Beine, nackt auf einem dünnen Laken auf dem Boden, und sagt: »Was ist das?«
    Saba stützt sich auf die Ellbogen und streicht ihr Haar zurück. »Was denn?«
    »Du blutest«, sagt er. »Ich dachte, du hättest nicht deine …«
    Saba spürt, wie sie von den Schläfen bis runter zu den Schultern rot anläuft. Muss sie es ihm jetzt sagen? Sie atmet tief durch und rafft das Laken um ihren Körper. »Ich weiß nicht, was das ist«, murmelt sie. »Vielleicht ist es von dir.«
    Reza durchforscht ihr Gesicht, starrt dann auf das blutige Laken. »Sei nicht albern«, sagt er. »Erzähl’s mir.«
    Sie holt erneut tief Luft. Was spricht dagegen? Soll er ruhig auch dieses letzte intime Detail erfahren. Nachdem sie ihm alles erzählt hat, tritt ein langes Schweigen ein. Reza blickt weg und murmelt vor sich hin. Vielleicht überlegt er, was jetzt von ihm erwartet wird – was ein Mann in Momenten tun soll, in denen man einem Jungen verzeihen würde, wenn er wegliefe.
    Dann hebt er die Arme und zieht Saba an sich – eine jähe, ruckartige Bewegung, weil er so aufgewühlt ist. Doch für Saba ist es eine Erlösung, ein Schock aus kalt und warm. Sie legt den Kopf an seine Schulter, und er streichelt ihr Haar. Sie fühlt sich an den Tag erinnert, als Ponneh zusammengeschlagen wurde, als Saba zusah, wie Reza sie mit Kinderliedern tröstete und ihr sagte, dass die Blutergüsse ihre Schönheit nicht schmälern würden. An jenem Tag sah sie zu, wie Rezas zu langes Haar sich mit Ponnehs vermischte, während sie sich flüsternd unterhielten. Und jetzt, als er sie in der Hütte umschlungen hält, denkt sie, dass er vielleicht dasselbe für sie empfindet, dass sie ebenso vertraut miteinander umgehen können. Vielleicht sieht er sie nicht mehr als Saba Khanom, sondern als jemanden, der ihm gleich ist.
    »Es tut mir so leid, dass ich nicht mehr getan hab«, sagt Reza leise. Er beißt sich auf die Oberlippe. »Ich hätte was sagen sollen. Aber weine nicht, Saba-dschan. Ich mach’s wieder gut.« Er blickt ihr wieder ins Gesicht, streicht eine verschwitzte Haarsträhne zurück und sagt: »Lass uns heiraten.«
    Sie betrachtet ihren zottelhaarigen Geliebten, diesen unbekümmerten Jungen aus einer anderen Welt, einer bäuerlichen Welt, die in vielerlei Hinsicht weiter von der ihren entfernt ist als die im Fernsehen. Er will sie heiraten, obwohl er nichts zu bieten hat, keine Ausbildung oder Familie. Es ist so romantisch, dass sie Ja sagen möchte. Sie zögert, ist unsicher, ob er sie liebt oder sie nur bemitleidet. Zieht ihn der verletzte, schutzbedürftige Teil von ihr an? Als er noch ein Kind war, dachte er, sie und Mahtab wären Prinzessinnen. Vielleicht will er noch immer ein märchenhafter Held sein. Und was ist mit Amerika? Kann sie noch ein wenig länger warten? Er studiert ihre Hand und sagt: »Wir könnten auch ein Baby bekommen, damit du deinen Kummer vergisst.« Ihr Herz macht einen Sprung, als er das sagt. Zumindest ihr Körper scheint sich ein Kind mehr zu wünschen als ein Leben in Amerika. Es könnte ihr Schicksal sein, sich endlich in das behagliche, behütete Mosaik von Cheshmeh einzufügen. Wenn sie mit Reza Kinder hat, geht sie vielleicht niemals fort. Das würde sie für immer an den Iran binden, denn eines ist sicher: Saba würde niemals ein Kind zurücklassen, wie ihre Mutter das getan hat. Wenn sie also in der Sicherheit und Geborgenheit von Rezas Armen bleibt, wenn sie eine neue Art von Bindung zu ihm eingeht, eine, die nicht mal Ponneh hat, was wird dann aus ihren anderen Träumen? Als sie zu lange schweigt, scheint Reza unsicher zu werden. »Ich werde für dich sorgen«, sagt er. »Ich weiß, dass du kein Geld brauchst … aber Geld ist nicht alles. Das hätte ich von Anfang an tun sollen«, flüstert Reza. »Wir sind doch längst eine Familie.«
    Für den Rest der Nacht umhüllt er sie wie ein Wintermantel. Immer wieder springt er auf und versucht, all ihr Unwohlsein zu lindern. Er kocht Tee, holt ihr Kissen und Aspirin, obwohl sie ihm versichert, dass sie keine Schmerzen hat, dämpft die kalten Ecken der Hütte mit der Wärme seiner Fürsorge.

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