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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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stehen um den alten Waschtrog herum, der mit Regen und Laub gefüllt ist. Seit es fließendes Wasser gibt, ist er überflüssig (außer um sich staubige Hände oder Füße unter dem Hahn abzuspülen oder um Kleidung über den dicken Rand zu hängen). Im Zimmer des toten Mädchens rauft Khanom Alborz sich die Haare und vergräbt das Gesicht im leeren Bettzeug ihrer Tochter. Sie schlägt mit der Faust auf die Matratze und verflucht Gott und all die Menschen, die an der Wand aufgereiht stehen und sie stumm beobachten, sich aber weigern zu gehen.
Wie furchtbar
, denkt Saba,
ein Kind zu verlieren
. Ponneh und ihre beiden älteren Schwestern weinen zusammen in einer Ecke des Zimmers. Ein junger Mann in weißem Arztkittel steht ein Stückchen entfernt und beobachtet die Mädchen. Er hat die Hände gefaltet und blickt verlegen. Saba entdeckt Khanom Omidi in dem überfüllten Haus gleich hinter der Eingangstür, neben zwei Bergen aus Besucherschuhen und -sandalen.
    »Es ist so traurig«, sagt die alte Frau. »So traurig. Aber, Saba, ich sage dir, das war der Wille Gottes. Diese Mädchen müssen endlich leben.« Saba gibt ihr vage recht und denkt an ihre eigenen ersten Tage ohne Mahtab. Hat Ponneh das Gefühl zu ertrinken? Will sie durch die Straßen wandern und darüber nachdenken, welchen Weg sie jetzt einschlagen soll, wo ihre Schwester nicht mehr da ist?
    »Siehst du?«, sagt Khanom Omidi. »Gut, dass keiner sie zu Geschwistern gemacht hat.«
    »Hä?« Saba beobachtet ihre Freundin. Reza ist nirgends zu sehen.
    »Ich rede von dem Arzt, Saba-dschan.« Khanom Omidis glänzender Blick schweift umher, als sie Saba näher heranzieht, um ihr Schielauge zu verbergen. »Weißt du nicht mehr? Mullah Alis Idee mit der Milch und … ach, Saba, zwing mich nicht, es auszusprechen. Es ist nicht gut, jetzt über lustige Dinge zu reden.«
    »Schon gut, ich weiß«, sagt Saba. »Na und?«
    »Tja, das liegt doch auf der Hand, oder? Jetzt kann er eines der Mädchen heiraten.« Khanom Omidi nickt drei- oder viermal zufrieden und unterdrückt dann rasch das Lächeln auf ihrem Gesicht.
    »Ist Reza da?«, fragt Saba.
    »Ach du meine Güte«, kreischt die alte Frau, als wäre ihr gerade eingefallen, dass Saba ja bald heiratet. »Es tut mir so leid, dass das während deiner
aghd
passieren musste. Das ist nicht gut. Überhaupt nicht gut, du armes Kind.«
    In diesem Moment kommen Geräusche von draußen. Ein schriller Schrei, gefolgt von aufgeregten Männerstimmen. Sie eilt hinaus, und die alte Khanom Omidi watschelt langsam hinterdrein.
    »Lasst mich los. Lasst los, ihr unnützen Esel. Loslassen, ich hab ein Recht, hier zu sein«, schreit Khanom Basir, während Ponnehs Onkel und ein verwirrter Mann im geflickten grauen Anzug mit einer schwarzen Gilaki-Kappe versuchen, sie zu beruhigen. Als sie Saba bemerkt, wird ihr Gezeter noch schriller. »Du«, faucht sie Saba an. Ihre Augen sind wild, und Saba bekommt es mit der Angst, weil sie fürchtet, Khanom Basir könnte irgendein Rauschgift genommen haben. »Du durchtriebenes Weib. Du hast versucht, meinen unschuldigen Sohn um den Finger zu wickeln … Du böse, kleine
jadugar
. Jetzt kannst du meinen Sohn nicht mehr heiraten.« Sie droht Saba mit dem Finger, während Ponnehs Onkel sie anflehen, aufzuhören. »Lasst mich los. Ich bin nur gekommen, um mit meiner Freundin zu reden. Jetzt hat sie bestimmt nichts mehr dagegen, ihre Tochter herzugeben. Sie wird mich sehen wollen. Lasst los.«
    Saba dreht sich der Magen um, und sie denkt, dass sie sich jeden Moment übergeben muss.
Hasst sie mich wirklich so sehr? Bin ich ein so schrecklicher Mensch?
Angesichts dieser Provokationen von Khanom Basir sehnt sie sich ausgerechnet nach Ponneh.
    Sie sagt sich, dass Khanom Basir unter verletztem Familienstolz leidet. Dass sie sich für eine wichtige Person im Dorf hält und dass Agha Hafezi sie und ihren Sohn beleidigt hat. Der Ehevertrag mit Reza ist sogar noch ausführlicher als der mit Abbas. Reza besitzt nichts, und als es an der Zeit war, einen Vertrag auszuhandeln, hatte ihr Vater sich erst zufriedengegeben, nachdem Reza zwanzig Seiten Text unterschrieben hatte. Er rang Saba das Versprechen ab, auf Gütertrennung zu beharren, Reza keine Kontovollmacht zu erteilen und bei irgendwelchen Transaktionen nicht ihn, sondern ihren Vater als engsten männlichen Verwandten anzugeben.
    Die Männer halten Rezas Mutter zurück und werfen immer wieder Blicke über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass die Trauernden

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