Ein Teelöffel Land und Meer
können.
Aber dann lässt sich Maman einen von ihren Sprüchen für schlaue Mädchen einfallen, wie sie sich immer welche für uns ausgedacht hat, wenn sie uns dazu anhalten wollte, fleißig zu sein und unabhängige Frauen zu werden. »Im Moment kommt dir unser Leben vielleicht hart vor, aber weißt du, was das Beste ist?«, sagt sie. »In Amerika können die Menschen sich aussuchen, wie reich oder arm sie sind. Das ist reine Entscheidungssache.«
Ihr versteht bestimmt, dass Mahtab misstrauisch ist, aber ich sage euch, Maman hat recht. Laut Horatio Alger und Abraham Lincoln und der jungen Frau aus
Love Story
, die es bis nach Harvard schaffte, obwohl sie arm war, hat ein gescheites Mädchen wie Mahtab alle Chancen. Also erklärt Maman weiter: »Hier können schlaue Kinder alles werden, was sie wollen. Wenn sie fleißig sind, können sie reich werden. So einfach ist das hier mit allem.«
Maman hat immer so geredet. Einfache Regeln. Schwarz und weiß. Das hab ich an ihr geliebt, weil ich bei ihr immer genau wusste, was ich als Nächstes tun sollte. Dann trinkt Maman einen Schluck Tee, der so heiß ist, dass Mahtab sich vorstellt, wie ihr Inneres sich verflüssigt, Kehle und Hals in
chai
schwimmen, das Stück Zucker zwischen ihren Zähnen zerschmilzt wie das weiße Sediment bei meinen Chemieexperimenten. Doch Maman kann Hitze wahnsinnig gut vertragen, und sie seufzt nur wohlig und redet weiter. Auch das liebe ich an ihr.
»Hier ist alles anders, Mahtab-dschan«, erklärt sie. »Ja, im Iran ist es gut, klug zu sein, gute Noten zu bekommen und zu studieren. Viele kluge Frauen studieren und machen Examen. Aber was nützt das? Du musst trotzdem so manches tun, bloß weil du ein Mädchen bist.«
»Was denn?«, fragt Mahtab, obwohl sie es genau weiß.
»Heiraten, waschen, putzen, Kinder bekommen«, antwortet Maman. »Wenn du Ärztin werden willst, wunderbar! Solange du weiter die Wäsche machst. Du wirst nicht respektiert, weil du Ärztin bist, Mahtab-dschan. Sondern weil du die Wäsche machst. Sie tun so, als wäre das nicht wahr, aber du kriegst es zu hören, wenn du das Essen anbrennen lässt, weil du, Gott bewahre, damit beschäftigt warst, ein Gedicht zu schreiben. Aber hier nicht …«
Und dann ermahnt Maman sie, dass es für eine junge Frau am wichtigsten ist, eigenes Geld zu haben. Sie erinnert Mahtab an die liebe alte Khanom Omidi, die tagaus, tagein den Haushalt macht und ihren übrig gebliebenen Joghurt verkauft, um sich ein Taschengeld zu verdienen. Dabei kommt nicht viel heraus, aber es ist wichtig, dass sie es tut. Das hat Maman uns immer gesagt, und ich hab’s auch selbst gesehen. Khanom Omidi hat sich Geheimtaschen in ihre Tschadors und den Bund eingenäht – Verstecke für ihr Joghurtgeld. Das ist der Name, mit dem Mahtab und ich alles heimliche Geld bezeichnen, seit wir einmal die verborgenen Ersparnisse der alten Dame gesehen haben. Ein Name für die vielen ungesehenen Rials und Dollar, die du verdienst oder nicht verdienst, aber immer,
immer
versteckt aufbewahrst.
»Wenn ich also in der Schule die Beste bin und mein eigenes Geld verdiene«, sagt Mahtab, »dann wird wieder alles so, wie es war?« Jetzt begreift meine Schwester allmählich, wie das Leben in Amerika funktioniert – dass der Arbeitskittel der Weg zum Businesskostüm ist. Sie sollte mehr Fernsehen gucken.
Maman überlegt einen Moment. Dann holt sie eine Ausgabe der
LIFE
aus dem Jahre 1971 hervor. Sie schlägt die Fotoseiten mit der Tochter des amerikanischen Schahs und ihrem blassen Prinzen auf, und sie nickt.
Ja, ja, ja
. Deshalb träumen alle Iraner von Amerika.
»Und dann muss ich nie mehr mein Zimmer aufräumen?«, fragt Mahtab.
»Du kannst ein Dienstmädchen haben«, entgegnet Maman. »Bei Ärztinnen verlangen die weniger Stundenlohn.«
»Und ich muss den Mullahs keinen
chai
servieren.« Das hat Mahtab immer gehasst.
Maman lacht, weil es in Amerika keine Mullahs gibt. Keine Mullahs auf den Straßen. Keine Mullahs in deinem Haus, die dir die Haare vom Kopf fressen. Keine Mullahs, die sich im Flüsterton mit deinem Vater über dich unterhalten, sodass er Angst bekommt und dir ein neues, dickeres, schwärzeres Kopftuch kauft.
Dann beendet Maman das Gespräch mit ihren üblichen Drohungen: »Aber wenn du nicht fleißig bist, wenn du auf der faulen Haut liegst und durchschnittliche Noten bekommst, kannst du jederzeit zurück in den Iran und einen Mullah heiraten.« Sie reißt die Augen auf, als würde sie eine
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