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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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große Angst zu haben. Ponneh pult an der schuppigen Haut an ihrem Ellbogen und sagt: »Schade, dass wir uns keine Süßigkeiten gekauft haben, jetzt kriegen wir bestimmt die nächsten zehn Jahre keine mehr.«
    Saba zieht ihren Arm aus dem ihrer Freundin und holt ein Bündel Geldscheine aus der Tasche. »Wir sollten das Geld für etwas Besseres aufheben«, sagt sie und denkt an Khanom Omidis versteckte Münzen und die Tatsache, dass Ponneh niemals ein eigenes privates Vermögen haben wird, und sei es auch noch so klein. Im Haus der Alborz leben zu viele ältere Schwestern mit Bedürfnissen, die größer sind als Ponnehs. »Wir legen eine Mitgift für dich an, für wenn du älter bist.« Als Ponnehs Gesicht sich verdunkelt und sie widersprechen will, sagt Saba: »Unser Geheimnis. Wir werden füreinander sorgen.«
    Khanom Basir sagt immer, dass Ponneh eine Mitgift brauchen wird, um der Sittenpolizei zu entkommen. In fünf oder sechs Jahren wird sie eine Frau sein. Die Erwachsenen sagen, früher oder später geraten alle schönen unverheirateten Frauen mit dem Gesetz in Konflikt. Und wer weiß, was jemandem widerfahren wird, der es wagt, ein Gesicht wie das von Ponneh zu haben.

Sonne-Mond-Mann
    Khanom Basir
    S aba denkt, ich kann sie nicht leiden, aber sie ist zu jung, um sich an alles zu erinnern. Als die Mädchen sieben Jahre alt waren, fiel mir allmählich auf, dass die eine ein
richtiger
Schlingel war. Mahtab hat uns oft beim Kochen zugesehen, und das mit einer solchen Aufmerksamkeit, dass ich davon nervös wurde und sie wegschickte. Sie hat immer gehorcht, aber mir konnte die Kleine nichts vormachen. Saba war die Lautere der beiden, zugegeben, doch Mahtab war immer heimlich dabei, irgendwas auszuhecken, und jedes Mal, wenn Saba bei irgendwas Verbotenem erwischt wurde, wusste ich, dass das Obst mal wieder zu nah an der Zwiebel gelegen hatte. Jedes Mal gab Saba ihrer Schwester die Schuld, und ich glaubte ihr.
    Es ist Aufgabe der Mutter, einem Mädchen Gewitztheit beizubringen. Aber Bahareh Hafezi kümmerte sich nicht darum. Sie war zu jung, und sie dachte, eine gute Mutter zu sein würde bedeuten, streng auf weniger wichtige Regeln zu achten, bei denen es um Süßigkeiten ging und
pesar-bazi
(mit Jungen spielen) und
kalak-bazi
(Streiche spielen) und
gherty-bazi
(eitel sein), und ihnen gleichzeitig beizubringen, gegen die ganz, ganz großen Regeln zu rebellieren. Sie brachte ihnen nicht bei, wie sie aus alltäglichen Momenten Nutzen ziehen könnten. Doch Mahtab wusste bereits, wie das ging. Saba lernte es nie.
    Eines Tages kochten wir bei ihnen in der Küche Räucherreis. Kennen Sie diesen Reis? Das ist der beste Reis der Welt. Sehr selten und nur hier in Gilan hergestellt – und die Mädchen hingen an unseren Röcken. Ihre Mutter meinte, wenn sie brav wären, dürften sie mit uns Tee trinken, also saßen sie ganz still und tuschelten nur leise, und Mahtab erzählte Saba irgendeine verrückte Geschichte
(kalak-bazi!)
.
    Die Mädchen hatten viele Bücher, aber ihre Lieblingsgeschichten waren solche, wie man sie im Dorf von hundertjährigen zahnlosen Greisen mit langen Wasserpfeifen und niedrigen Hockern hört. Diese Männer erzählen den ganzen Tag von Dschinn und
paris
und davon, wie man das Glück herbeirufen kann. Sie erzählen alte Geschichten wie die von Leila und Madschnun, Rostam oder Zahhak, dem Schlangen aus den Schultern wachsen. Ich erkannte die Geschichte, die Mahtab Saba erzählte, weil sie von einem dieser alten Männer stammte, aber ich vermutete, dass Mahtab selbst sie nicht glaubte.
    »Was erzählst du deiner Schwester da, Mahtab-dschan?«, fragte ich.
    »Unterbrich mich nicht«, sagte sie. »Ich bin brav!«
    Also hörte ich nur zu, wie Mahtab Saba von dem Sonne-Mond-Mann erzählte, der jeden Abend die Sonne vom Himmel holt und den Mond aufhängt. Saba spielte mit einem Teelöffel, den sie aus einer Schüssel mit Honigwaben stibitzt hatte, während Mahtab ohne Unterlass redete. »Im Sommer braucht er dafür länger, weil er gern draußen spielt«, sagte Mahtab, und Saba glaubte ihr. Und ein kleines Wesen in meinem Bauch sagte mir, dass Mahtab irgendwas im Schilde führte.
    Dann wechselten sie für eine Weile das Thema, bis Mahtab von der Bergwanderung anfing, die sie am Vortag gemacht hatten und die Saba verpasst hatte, weil sie krank gewesen war. »Weißt du, was? Da hab ich den Sonne-Mond-Mann gesehen«, sagte Mahtab mit einem beiläufigen, listigen Blick. Saba unterbrach Mahtab nicht, als die

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