Ein Teelöffel Land und Meer
Wirrungen und dem perfekten Timing des amerikanischen Lebens. Saba stellt sich Mahtabs Leben in einzelnen Folgen vor, jede so leuchtend und geheimnisvoll wie die Zeitschriftenbilder von Schahzadeh Nixon, und jeder Rückschlag wird ebenso mühelos überwunden wie in einer dreißigminütigen Fernsehkomödie. Sie wischt sich ein letztes Mal übers Gesicht, hat den Geruch der Lehmwand vergessen und das Kitzeln hinten in der Kehle. Nun hat sie eine Geschichte zu erzählen, eine, die sie in zahllosen schla f losen Nächten in ihrem Bett auswendig gelernt hat und die Ponneh jetzt hören will. Die Geschichte beginnt so:
* * *
Eines muss man unbedingt über Amerika wissen, nämlich dass jeder Amerikaner mindestens so reich ist wie mein Baba. Aber es ist wichtig, dass du amerikanischer Staatsbürger bist. Genau das wünschen sich unsere Verwandten da drüben am meisten. In ihren Briefen und am Telefon mit Baba reden sie über nichts anderes. Meine Maman und Mahtab sind jetzt bloß Immigranten, und deshalb sind sie wahrscheinlich sehr arm. In ein paar Jahren bekommen sie ihre Staatsbürgerschaft, und dann werden sie wieder reich. So läuft das da. Du fängst als Taxifahrer an oder als Putzfrau, wie die Leute in
Taxi
. Dann kriegst du deine Staatsbürgerschaft, gehst auf eine gute Universität wie Harvard und wirst Arzt, wie in
M*A*S*H
. Anschließend, wenn du damit fertig bist, Soldaten zu retten, holst du dir in Washington deinen Orden ab, und wenn du schlau genug bist und tolle Noten hast, lernst du vielleicht sogar eine Schahzadeh kennen und kommst mit einem Foto in die
LIFE
. Das ist durchaus möglich.
Als Mahtab in Amerika angekommen ist, musste sie sich erst mal an die neuen Regeln gewöhnen, und wahrscheinlich ist ihr das ziemlich schwergefallen – weil die Hafezis hier in Cheshmeh ja die bedeutendste Familie sind. In Amerika muss sie sich dagegen erst noch nach oben arbeiten. Aber keine Bange, Mahtab kann nämlich Schwierigkeiten besser bewältigen als irgendwer sonst.
Also, jetzt kommen ein paar Dinge, die ihr schon wisst:
Zunächst mal wisst ihr, dass Maman und Mahtab sich ganz kurzfristig für die Ausreise nach Amerika entschieden haben. Niemand von uns konnte voraussehen, dass sie nötig werden würde. Deshalb ist davon auszugehen, dass sie im letzten Moment so einiges zurückgelassen haben: iranisches Geld, das so gut wie wertlos ist (falls Baba recht hat), und Zeugnisse von bedeutenden iranischen Universitäten, die nutzlos sind, weil sie da drüben Harvard haben. Also hat Maman keine Arbeit und kein Geld. Mahtabs Leben sieht jetzt ganz anders aus. Keine Taschen voller vergessener Spielsachen und Kleingeld mehr. Keine von verbotenen Büchern überquellenden Regale. Keine neuen Kleider, die sie besten Freundinnen vorführen kann. Wahrscheinlich keine besten Freundinnen.
Das Zweite, was ihr schon wisst, ist, dass in Amerika Fernsehen gratis ist und Musik auch und dass alle Cowboyhüte tragen und abends Hamburger essen. Maman und Mahtab haben also ein gutes Leben, auch wenn sie arm sind, mal abgesehen von den Hamburgern, die laut Maman aus Abfall gemacht werden. Jeden Abend gucken sie von ihrem gemeinsamen Bett aus, das wahrscheinlich in einem kleinen Apartment im Wohnzimmer steht, zusammen Fernsehen – wie Babas Verwandte in Texas, die geschrieben haben, um ihn um Geld für ein größeres Haus zu bitten.
Während ihrer ersten Woche in Amerika will Mahtab von Maman wissen, warum in ihren Suppen statt Lammfleisch bloß Linsen sind, warum sie sich ihre Bücher aus der Stadtbibliothek ausleihen muss, warum sie im selben Bett schlafen, worauf Maman bloß jedes Mal sagt: »Wir haben hier noch nichts verdient.«
Das ist doch so ein typischer Satz von Maman, findet ihr nicht auch? Das hat sie oft gesagt, wenn sie uns ein Spielzeug weggenommen hat.
Das müsst ihr euch erst wieder verdienen
. Nachmittags unterbricht Maman ihre Küchenarbeit, um eine Tasse Tee zu trinken. Sie erklärt ausführlich, dass sie sich Arbeit suchen wird und dass Mahtab zur Schule gehen wird. Sie werden beide fleißig Englisch lernen und viel Geld sparen. Aber Mahtab hört das nicht gern, müsst ihr wissen. Sie will zurück nach Cheshmeh und von Babas Geld leben und es behaglich haben. Sie vermisst mich, und sie will, dass wir wieder zusammen sind. Es macht ihr keinen Spaß, heimlich Briefe zu schreiben, und sie findet es unfair, dass sie ausgesucht worden ist, nach Amerika zu gehen, wenn sie doch auch in Cheshmeh hätte bleiben
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