Ein Teelöffel Land und Meer
ihres Vaters. Sie ist überrascht, als er sich auf etwas so Riskantes einlässt. Wenn sie schon fortgehen muss, sagt er, ist es ihm lieber, sie tut es mit seiner Hilfe. Er wird ihre Abwesenheit jedem, der fragt, damit erklären, dass sie eine kranke Verwandte in Teheran besuche.
Wie sich herausstellt, ist die Reise nach Dubai ermüdend und staubig, aber nichts Besonderes für eine reiche Iranerin.
Sie sitzt nervös in der Lobby der amerikanischen Botschaft und denkt fieberhaft darüber nach, was die Beamtin wohl von ihr hören will. Sie hat ihre Geschichte auswendig gelernt und geprobt, aber sie kann unmöglich wissen, welche Antworten die richtigen sind. Sie hat beschlossen, ihre Englischkenntnisse, ihre Bildung und ihre finanziellen Mittel herunterzuspielen, so zu tun, als wäre diese Reise eine notwendige, absolut einmalige Angelegenheit und keineswegs ein Luxus. Luxus führt zu kapriziösen Einfällen und abgelaufenen Visa und illegaler Einwanderung.
Als ihr Name aufgerufen wird, erhebt sie sich bleischwer aus ihrem Sessel. Was, wenn sie das Falsche sagt? Wie hat sich ihre Mutter verhalten, als sie damals in dieser Situation war?
»Warum möchten Sie in die Vereinigten Staaten reisen?«, fragt die Beamtin, eine Frau mittleren Alters mit extrem kurzen Haaren und schmächtiger Statur.
»Um Verwandte zu besuchen und mein Leiden behandeln zu lassen.« Sie legt ein Schreiben von ihrer Ärztin vor, Fotokopien aus Büchern über medizinische Verfahren, die im Iran und im Ausland zur Verfügung stehen. Sie zeigt der Beamtin den Namen und die Adresse eines Chirurgen in Kalifornien. Die Beamtin überfliegt die Papiere nur flüchtig, studiert dafür aber genauer Sabas Gesicht. Saba versucht, fröhlich zu klingen, optimistisch. »Im Iran haben wir sehr gute Ärzte, aber ich möchte doch lieber die Hilfe dieses Mannes in Anspruch nehmen. Er ist Experte dafür. Mein Ehemann wird im Iran bleiben und auf mich warten.«
»Und warum muss das gerade jetzt sein?«, fragt die Beamtin.
»Weil wir nur so Kinder haben können. Mein Mann und ich. Wir lieben uns, schon seit wir sieben waren.« Plötzlich wünschte sie, sie hätte den letzten Satz nicht gesagt. Er klingt sentimental. Und er ist gelogen. Kann die Beamtin sie durchschauen? Sie holt ihre Kontoauszüge hervor. »Das ist eine Aufstellung unseres Guthabens hier. Und natürlich bleibt mein Mann hier.« Warum hat sie das wiederholt? Das klingt selbst in ihren Ohren verdächtig.
Auf der Fahrt zum Flughafen hadert sie mit sich. Sie geht jedes Wort und jede Geste der Befragung durch und versucht einzuschätzen, wann sie wohl Bescheid bekommt. Zurück in Cheshmeh, stellt niemand Fragen. Als sie beladen mit bunten Stoffen, neuen Schuhen und verbotenen Kassetten mit iranischer Tanzmusik zurückkommt, sind alle überzeugt, dass sie in Teheran war. Wochenlang wartet sie auf eine Nachricht von der Botschaft. Sie wird immer angespannter, beginnt, an den Nägeln zu kauen, entwickelt den neuen nervösen Tick, ständig nach hinten zu blicken.
Ein weiteres Flugticket verfällt. Sie magert ab vor Sorge.
Noch eine Woche verstreicht. Dann zwei. Und dann, eines Tages, hat das Warten ein Ende. Ein Telefonanruf mitten am Nachmittag, und alles ist geregelt – wie von Zauberhand. Sie kann ihr Visum in Dubai abholen und dann von dort nach Amerika reisen – nach Kalifornien, New York oder Massachusetts. Ein ganzer Kontinent steht ihr plötzlich offen. Anscheinend haben ihre schla f losen Wochen der Vorbereitung und ihre Strategie, kein dauerhaftes Asyl zu beantragen, Früchte getragen.
Saba verbringt fast vier Stunden in den Telefonwarteschleifen von Fluggesellschaften, während sie versucht, ihren Flugreiseplan mit der Zwischenlandung in Istanbul zu ändern und eine Zwischenlandung in Dubai zu buchen. Obwohl sie noch drei unbenutzte Tickets hat, ist sie gezwungen, ein weiteres zu kaufen. Einen Flug von Teheran nach Dubai, dann von Dubai nach Istanbul, wo sie einen bereits gebuchten Flug nehmen kann. Als sie schließlich au f legt, trifft die schwindelerregende Realität sie wie ein Schlag. Sie wird fortgehen. Und was bleibt nun noch zu tun? Sie hat das übermächtige Gefühl, nicht fertig zu sein. Kann sie ihr Geld jetzt abheben? Wird das überprüft? Wie soll sie es transportieren? Soll sie doch noch versuchen, ihren Grundbesitz zu verkaufen, oder ihn vielleicht ihrem Vater überschreiben? Was ist mit Reza?
In der Bank ringt sie nach Atem. Wird sie beobachtet? Sie ermahnt sich selbst,
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