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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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nicht so paranoid zu sein, und hebt große Summen ab, lässt aber jeweils einen bescheidenen Betrag stehen, sodass die Konten nicht geschlossen werden, was möglicherweise dazu führen könnte, dass Abbas’ Familie benachrichtigt wird. Sie tauscht ihr Barvermögen zu einem absurden Wechselkurs in Dollar um, die Hälfte davon in einem schäbigen Büro im stillen Teil von Rasht, über einen Schwarzmarkthändler, dessen Namen sie von ihrem Vater bekommen hat und der anscheinend wittert, dass sie unter Druck steht. Die andere Hälfte tauscht sie bei einem Kontaktmann des Teheraners um, der sie zum Büro seines Bekannten begleitet und theatralisch den Kopf schüttelt. »Dann verlieren wir Sie also, Saba Khanom. Wer soll denn jetzt die vielen schönen Videos kaufen?« Saba lächelt und verabschiedet sich sogar mit dem Versprechen, in Amerika ein paar Serien für ihn aufzunehmen.
    Ihr Vermögen, zumindest der Teil, den sie flüssigmachen konnte, beläuft sich auf achtundvierzigtausend Dollar, einen kleinen Beutel mit Pahlavi-Goldmünzen und einen Armvoll kostbaren Schmuck.
    Eines Morgens wird sie wegen ihres Ausreisevisums angerufen. »Ich kann Ihnen sagen, Khanom«, murmelt der Mann, »dass Ihr Pass in Ordnung ist. Sieht alles gut aus. Sie brauchen nur noch die schriftliche Erlaubnis, und zwar speziell für diese Reise, die Sie dann am Flughafen vorlegen müssen.«
    »Wie bitte?«, sagt sie, obwohl sie das längst weiß. Dieses Problem hat sie auf die lange Bank geschoben.
    »Ihr Ehemann«, sagt er. »Jedes Mal, wenn Sie den Iran verlassen, brauchen Sie seine Erlaubnis.«
    Den ganzen Vormittag wägt Saba ihre Optionen ab. Soll sie es Reza jetzt sagen? Soll sie die Erlaubnis noch einmal fälschen, wie sie das schon für Dubai gemacht hat? Nein, entscheidet sie. Sie wird den Mut aufbringen. Sie wird ihre Papiere zusammensuchen, und wenn er nach Hause kommt, wird sie ihm von ihren Plänen erzählen. Sie wird Abschied nehmen, ihrem treusten Freund sagen, dass er ihr einige ihrer schönsten Tage geschenkt hat, und ihn davon überzeugen, sie gehen zu lassen. Vielleicht wird er dagegen sein, aber letzten Endes wird er es verstehen. Er mag ja konservativ sein, aber er hat eine musikalische Seele, ein rebellisches Herz. Er ist es, der für sie Gitarre spielt, wenn sie tanzt. Er hasst
pasdars
in Jeeps, schwarze Tschadors und Vorhänge am Strand, und er liebt die Beatles.
    Sie durchsucht Rezas Schubladen nach ihrer Heiratsurkunde. Als sie gerade die obere Schublade schließt, fällt ihr Blick auf eine Kassette, die sie nicht kennt. Ist es eine von ihren alten? Sie legt sie in ihren Walkman und drückt Play. Rezas samtene Stimme dringt aus dem Kopfhörer. Er lacht jungenhaft, weil er nicht genau weiß, wie das mit dem Aufnehmen geht. Dann beginnt er zu singen. Es ist das Abschiedslied »Mara Bebus«.
Küss mich zum letzten Mal
. Er klimpert auf seiner
setar
, wie damals in der Hütte für Saba. Sie dreht die Plastikhülle in ihrer Hand um. »Herbst 1991«, liest sie, also kurz bevor Reza die Beziehung mit ihr begann. Als das Lied zu Ende ist, spricht Reza durch das Hintergrundrauschen hindurch, legt immer wieder lange Pausen ein: »Meine wunderschöne Freundin, ich weiß jetzt, dass du mich niemals heiraten wirst, und anstatt für dich zu sterben, lass mich lieber Abschied nehmen.«

Der Kaspische Tag
    Khanom Basir
    N ach Einbruch der Dunkelheit, als ihre Eltern schon zu Bett gegangen waren, schlichen sich Saba und Mahtab davon, um im Kaspischen Meer zu schwimmen. Sie waren damals elf und gute Schwimmerinnen, aber das Meer ist viel zu stark für kleine Mädchen. Nachts kommen Dschinn, um zu baden, und sie zerren alles Lebendige davon, das sich ins dunkle Wasser wagt. Nach allem, was ich gehört habe, spielten die beiden eine Stunde lang im Wasser, bis eine von ihnen merkte, dass sie zu weit hinausgetrieben waren. Sie versuchten, zurückzuschwimmen, und schafften auch ein gutes Stück. Anscheinend zog Mahtab Saba einen Teil der Strecke, wurde dann aber müde, also ließen sich beide auf dem Rücken treiben und versuchten, die Wellen zu meiden.
    Sie trieben zwei Stunden auf dem Rücken. Das ist das Tragische daran, denn eine normale Elfjährige würde das mitten in der Nacht niemals schaffen, wenn sie müde ist und verängstigt und genau weiß, dass sie das Meer nicht bezwingen kann. Jedes andere Mädchen hätte aufgegeben. Aber sie hatten einander, und sie hielten den Kampf gegen all diese Wasser-Dschinn zwei Stunden lang durch. Sie

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