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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer
Autoren: Dina Nayeri
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nur gemacht, um seine heimliche Religion zu verbergen –
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–, und ja, auch das war ein Grund. Ich glaube nicht, dass seine Seele sich nach der Freundschaft einiger alter Mullahs sehnt oder dass er sich nichts Schöneres vorstellen kann, als jeden Abend mit alten Frauen zu verbringen. Nein … aber es ging ihm nicht nur um Sicherheit. Er hat ein Gilaki-Herz, ein weiches Herz. Ich sehe aufrichtige Gastfreundschaft in seinen Augen, obwohl er und ich im Laufe der Jahre viele Meinungsverschiedenheiten hatten, auch nachdem seine Frau fortgegangen war. Trotzdem hat er mich nie verstoßen. Er hat mir nie gesagt, ich soll den Mund halten oder aus seinem Haus verschwinden.
    Für die Hafezis war das der Beginn einer langen Hölle. Das Unglück hundert schwarzer Jahre in nur wenigen Tagen. Als sie von dieser Fahrt ans Kaspische Meer zurückkehrten, war alles anders. Saba hatte wochenlang hohes Fieber und delirierte. Sie lag die meiste Zeit im Bett und fragte nach Mahtab, aber wir sagten ihr, ihre Schwester wäre krank und ansteckend.
    In den Monaten davor hatte Bahareh in all ihrer Selbstsucht schon lange die Flucht aus dem Iran geplant, aber nach dieser Reise musste sie aus dem Land geschmuggelt werden. Ihr Ehemann bestach jeden Beamten und Bürokraten im Ort, um unverdächtige Dokumente zu bekommen, die ihre Ausreise ermöglichten, ehe die Ermittlungen gegen sie weiter voranschritten. Es war ein Glück, dass die Polizei sie nicht dabehalten, sondern sie in die Obhut ihres Mannes und Mullah Alis gegeben hatte. Von da an war Bahareh jeden Tag in irgendeiner Botschaft oder auf irgendeinem Amt, oder sie verteilte bündelweise Geldscheine an Dokumentenfälscher oder Passaussteller, dabei hätte sie sich eigentlich um Saba kümmern sollen. Sie hatte, schon bevor das alles passierte, vorgehabt, mit den Mädchen nach Amerika zu gehen. Ich weiß nicht, wie ihr Mann ihr hätte erlauben können, seine Töchter mitzunehmen, aber die ganze Familie war ja wie besessen von der westlichen Welt. Agha Hafezi konnte seinen Grundbesitz und sein Geld nicht zurücklassen; er würde also bleiben, doch Bahareh ließ sich nicht von ihren Plänen abbringen. Eines Tages, als ich Saba pflegte, hörte ich, wie sie ihren Mann anschrie: »Ich bleibe nicht in diesem Land. Wie kannst du von mir erwarten, Saba hier großzuziehen?«
    Mullah Ali war entweder zu berauscht oder zu klug, um sich einzumischen. Er sah, dass die Hafezis Vorbereitungen trafen, Bahareh außer Landes zu schaffen, und sah es doch nicht. Er sah Kamele, er sah keine Kamele, wie man so sagt. Später, als es
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gab und Vernehmungen und zu viele Fragen, sagte Mullah Ali, dass Frauen viel Böses tun können, auch ohne das Wissen ihrer Ehemänner. So kam es, dass Agha Hafezi verschont blieb. Was tut der alte Mullah nicht alles, nur damit er diskret seinen Alkohol bekommt, etwas, womit er seine Pfeife füllen kann, und einen üppigen
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.
    Und dann, nach Tagen voller Verwirrung und Halluzinationen und Informationen, die ihr häppchenweise zusammen mit der Gerstensuppe eingeflößt wurden, mit der sie aufgepäppelt wurde, kam der Tag, an dem Saba klar genug im Kopf war, um reisen zu können. Bald darauf waren die Dokumente fertig, die es ermöglichen sollten, Bahareh wie einen Flüchtling aus dem Land zu schmuggeln. Ich weiß nicht, wie Mullah Ali die Polizei und die
pasdars
so lange fernhalten konnte. Wahrscheinlich lag es an mehreren Dingen: dem Krieg mit dem Irak, der Bürokratie, dem Einfluss des alten Mullahs und vor allem Agha Hafezis unaufhörlichen Geldzahlungen.
    »Wo ist Mahtab?«, fragte Saba ihre Eltern immer wieder, während die ihr den Mantel anzogen und ihre Lieblingsbücher und Pullover in einen kleinen Koffer packten. Inzwischen hatten sie Mahtab so lange von ihr ferngehalten, dass Saba die Erklärung, ihre Schwester wäre ansteckend, allmählich anzweifelte. Kam Mahtab denn nicht mit ihnen? Mussten sie im Flugzeug denn nicht nebeneinandersitzen? »Still, Kind«, sagte Khanom Omidi, während sie Saba das Haar bürstete. »Still, du armes Ding.« Und sie begann, leise Gebete an Allah zu sprechen.
    Die Hafezis fuhren in einem Auto zum Flughafen, das sie sich von Baharehs Freundin, Dr. Zohreh, geliehen hatten, dieselbe Unruhestifterin und Aktivistin, die nicht nur Ponneh in ihren Bann geschlagen, sondern auch versucht hat, Saba in die Finger zu kriegen. Sie nahmen sicherheitshalber nicht ihren eigenen Wagen, für den Fall, dass
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das Haus
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