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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer
Autoren: Dina Nayeri
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Verhandlungen mit Abbas’ Familie hinauszuzögern – um ihr Geld in dieser Zeit, in der sie es nicht abheben kann, irgendwie zu sichern.
    An einem ruhigen Abend geht sie in einem alten, grauen, handgeschriebenen Adressbuch der Familie, das sie unter dem Bett ihres Vaters entdeckt hat, einen Hafezi nach dem anderen durch. Sie hat Verwandte in Schottland, Holland und Amerika. Ist ihre Mutter darunter? Sie findet nur eine B. Hafezi, aber als sie die Nummer probeweise anruft, meldet sich eine unbekannte Frau und behauptet, keine Hafezi zu kennen.
    Manchmal träumt Saba mit offenen Augen davon, die Stimme ihrer Mutter am anderen Ende einer Telefonleitung zu hören. Ihre Stimme wird älter sein, und sie wird sich auf diese lässige amerikanische Art melden. Saba wird Englisch sprechen, und bei dem Gedanken daran, dass ihre Mutter diese perfekte westliche Begrüßung hören wird, macht ihr Herz einen Sprung. Sie wird eine ganze Reihe dummer Fragen stellen, denn das ist schließlich ihre einzig wahre Mutter, die bis zu ihrer Trennung Sabas albernste Gedanken zu hören bekam.
Wie siehst du jetzt aus? Freust du dich, von mir zu hören? Klinge ich sehr alt? Soll ich noch etwas auf Englisch sagen?
    Sie werden stundenlang zwei Sprachen miteinander vermischen, über die wenigen Lieblingsthemen lachen, die sie noch immer gemeinsam haben, Geschichten aus dem Fernsehen und Sabas englische Bücher. Ehe sie au f legen, wird ihre Mutter versprechen, ein offizielles Einladungsschreiben zu schicken. »Du fehlst mir, meine Saba«, wird sie sagen.
»Zulbia.«
Und sie werden darüber lachen, dass sie sich noch immer an diesen alten Scherz erinnert.
    Es ist kaum eine Stunde vergangen, als es an der Tür klingelt. Khanom Basir und Reza sind beide unterwegs, und Saba bindet ihr Kopftuch um, ehe sie in den von hohen Mauern umgebenen Hof tritt. In sorgenvolle Gedanken an Einladungsschreiben und Visumsbefragungen versunken, entriegelt sie das große weiße Tor, wobei sie sich fast den Finger am Metall schneidet, und sieht ihren Vater zitternd in seinen Hausschuhen und einem zotteligen Wintermantel auf der anderen Seite stehen.
    Er muss nicht sagen, warum er gekommen ist. Er sieht sie an, als wäre sie etwas Fremdes, undankbar und herzlos und selbstsüchtig, wie eine
shalizar
-Arbeiterin, die beim Diebstahl von Reis erwischt wurde, oder der Schäfer, der der Sittenpolizei von den Männern erzählte, die auf dem Berg Gospel Radio Iran hörten. »Was hast du vor?«, fragt er. »Warum hast du Behruz in Kalifornien angerufen?«
    »Was?« Saba hatte lediglich seine übliche wütende Reaktion auf ihre Bemerkung über Amerika erwartet. »Wer ist Behruz?«
    »Mein Cousin in Kalifornien. Du hast vor einer Stunde bei ihm zu Hause angerufen und nach deiner Mutter gefragt … was seiner abergläubischen Frau übrigens richtig Angst gemacht hat. Er hat sich gedacht, dass das nur jemand aus Cheshmeh gewesen sein kann, und mich angerufen.«
    »Tut mir leid.« Sie nimmt seinen Arm und zieht ihn herein. »Ich hab versucht, es dir zu sagen.«
    »Saba, diese Abbas-Geschichte kann in Ordnung gebracht werden«, sagt er. »Du bist voreilig.«
    »Nein«, sagt sie. »Es ist einfach Zeit, dass ich fortgehe. Ich muss herausfinden, was passiert ist.«
    »Deine Mutter ist nicht in Amerika«, sagt er. Er klingt müde, enttäuscht. Er folgt ihr ins Haus und schließt die Tür. »Ich wünschte, ich könnte dir ganz genau sagen, was passiert ist, Saba-dschan.«
    Sie setzen sich an den Küchentisch. »Ich weiß«, sagt sie. »Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier wegwill. Der Telefonanruf war bloß ein spontaner Einfall … weil ich den Namen in dem Buch gesehen hab. Ich will ein eigenes Leben haben. Ich bin hier nicht glücklich.« Sie hofft, dass ihm das genügt.
    Es genügt ihm nicht. Auch Väter haben selbstsüchtige Bedürfnisse. »Nur, weil du noch kein Baby hast.«
    Sie beschließt, ihm die Wahrheit zu sagen. »Ich kann keine Kinder bekommen.« Für einen kurzen Moment spürt sie die kühle, erquickende Freiheit, die damit einhergeht. Dann sprudelt der Rest aus ihr heraus. Die ganze Geschichte von Abbas und ihrer Hochzeitsnacht. Von den schwarz gekleideten Frauen in ihrem Schlafzimmer und der Erbschaft, die sie ihrer Meinung nach verdient hatte. Von den ersten Tagen mit Reza, dem Ausdruck in seinen Augen, den sie mit Liebe verwechselte, in dem sie jetzt jedoch seinen Liebesversuch erkennt, ein bisschen Schauspielerei durchsetzt mit jungenhaftem Heldentum und
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