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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Mitleid für alle verwundeten Frauen, für ihren beschädigten Körper – ihre Wiedergutmachung für alles.
    Die Art, wie ihr Vater den Kopf in die Hände legt, wie er sich dann mit beiden Händen das schüttere Haar kreisförmig massiert und sie aus großen, bekümmerten Augen anblickt, erinnert sie an Rezas Reaktion damals in der Hütte. Das aschfahle Gesicht. Die unruhigen Hände. Sein unmittelbares Bedürfnis, ihre Hände oder ihr Haar zu berühren. Warum sind Männer immer so betroffen, wenn einer Frau von jemand anderem als ihnen Leid zugefügt wird? Warum jetzt so viel Mitleid? Denkt er, sie ist weniger wert? Ist er zornig, weil sie zugelassen hat, dass man ihr das antut?
    Ihr Vater findet seine Stimme wieder. »Du hast Reza immer geliebt. Das wussten alle.«
    »Und er hat meine Liebe nie wirklich erwidert«, antwortet sie. »Das wussten auch alle.«
    »Hast du es ihm gesagt? Er wird dich nicht gehen lassen.«
    »Das hat er nicht zu entscheiden. Baba-dschan, möchtest du denn nicht, dass mir der einzige Wunsch erfüllt wird, den ich wirklich habe?«
    »Sei nicht undankbar.« Sie merkt, dass er sich beherrschen muss, nicht laut zu werden.
    Sie starrt ihren Vater stumm an. Mit ihm zu reden ist, als wollte man ein Auto auf spiegelglatter Fahrbahn kontrollieren. Manchmal bewegt es sich in eine Richtung, die in keinem Zusammenhang damit steht, wie man das Lenkrad hält. Vielleicht sollte sie aufhören zu kämpfen und einfach etwas Wahres sagen. »Bist du nicht stolz auf mich, dafür, dass ich nicht aufgebe?«, fragt sie mit kindlicher Stimme. Sie räuspert sich, weil sie ernst genommen werden will. »Manchmal denke ich, sie ist irgendwo da draußen mit Mahtab, vielleicht nicht in den Vereinigten Staaten, aber irgendwo. Ja, ich bin erwachsen, und mein Verstand sagt mir etwas anderes, aber ich …« Sie will den Tag am Flughafen erwähnen, tut es aber nicht. »Ich will einfach hin und nachsehen.«
    Der traurige, versonnene Blick ihres Vaters erinnert sie an Agha Mansuri nach dem Tod seiner Frau. Schließlich schaut er ihr ins Gesicht. Genau in diesem Moment lächelt Saba ihn allzu breit an, genau wie früher, als sie noch das Kind war, das kennenzulernen er keine Zeit hatte, und seine Augen werden zu trüben, grauen Tümpeln. Wird er sie tadeln? Sie setzt eine Miene auf, von der sie hofft, dass sie ernst und sachlich wirkt.
    »Saba-dschan, ich wünschte, du könntest sie in einem Telefonbuch nachschlagen oder irgendwo in Amerika aufspüren. Dass du noch immer hoffst, zeigt, dass du ein gutes Herz hast, wohingegen dein Vater an gar nichts mehr glauben kann.« Er zittert, als wollte er eine schmerzliche Erinnerung abschütteln, und spricht stoßweise, legt immer wieder nachdenkliche Pausen ein. »Was meinst du wohl, was Bahareh dazu sagen würde, was ich getan habe? Wenn ein Mann wie ein Muslim redet und wenn er isst und trinkt wie ein Muslim und seiner eigenen Tochter erlaubt, einen Muslim zu heiraten, kann er sich dann noch Christ nennen? Spielt es eine Rolle, was er in seinem Herzen denkt, wenn das alles von Feigheit verdeckt wird?« Saba wagt nicht, sich zu bewegen. Noch nie hat er ihr so viel offenbart. Sie wünschte, sie wüsste, was sie sagen muss, um den Augenblick zu bewahren, doch bislang hat sie noch jedes Mal, wenn sie sich wie jetzt vorsichtig angenähert haben, irgendwas getan, das den kleinen Lichtstrahl in die Welt ihres Vaters wieder erlöschen ließ. Er atmet aus. »Aber sei’s drum. Wir müssen die Wahrheit akzeptieren, und wenn sie noch so sehr schmerzt.«
    Sie seufzt. Wieder enttäuscht er sie, will einfach nicht verstehen. »Was ist denn so schlimm daran, die Hoffnung nicht aufzugeben? Vielleicht brauchen wir beide genau das.« Sie steht auf, um ihnen Tee nachzuschenken, doch ihr Vater nimmt ihre Hand. Sie hält inne, setzt sich aber nicht wieder, sondern bleibt neben ihm stehen, lässt ihre Hand von seinen umschließen, wie ein Glühwürmchen, das davonfliegen könnte.
    Er schweigt lange, und sie sieht ihm an, dass er nach den richtigen Worten sucht – dass es ihm schwerfällt, sie auszusprechen. »Diese Art von Hoffnung ist gut, ja. Es gibt noch bessere. Weißt du noch, was deine Mutter und ich immer zu euch Mädchen gesagt haben?«, fragt er. »Dass ihr zu etwas Großem bestimmt wäret? Dass es in eurem Blut liegt, mächtig und stark zu sein und Bedeutendes zu leisten?«
    Saba nickt. Sie würden Zwillingstitanen sein, die mit ihren vielen englischen Wörtern und Stapeln von Büchern eine

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