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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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sagen. Ist das ein Verrat? Wird Ponneh zornig werden, wenn Saba das so sieht? Schließlich trifft sie eine Entscheidung.
    »Ich bin zu alt für solche Geschichten«, sagt sie mit einer Stimme voller Selbstvertrauen und Reife. Sie weiß, was Khanom Mansuri versucht. Sie ist dem Ende ihres Lebens nah, und ihr gefällt dieses abstrakte Gerede, die Art von Was-wäre-wenn, die dem Tod seinen Stachel und seine Endgültigkeit nimmt. Vielleicht will sie ebenso sehr wie Saba, dass Mahtab lebt. Oder einfach nur wissen, dass jemand Mahtabs Erinnerung bewahrt, selbst wenn sie tot ist. Wie dem auch sei, Ponnehs Meinung ist für Sabas Glück sehr viel wichtiger – und Ponneh ist Realistin.
    »Zu alt für deine eigene Schwester?«, neckt Khanom Mansuri. »Nicht gut.«
    »Der Brief war bloß erfunden«, sagt Saba Ponneh zuliebe. Dann fügt sie hinzu, weil es so erwachsen klingt, so etwas auszusprechen: »Ich war noch ein Kind. Das hat mir geholfen, es zu bewältigen.«
    Khanom Mansuri lacht leise. »Erfunden? Das glaub ich dir nicht«, sagt sie, lehnt den Kopf gegen die Wand und schlummert ein, noch während sie sagt: »Komm wieder, wenn du älter und nicht so erwachsen bist … Los, geht jetzt, alle beide. Ich muss ein bisschen schlafen.«
    Saba wünscht, Khanom Mansuri würde nicht einschlafen. Sie möchte den Arm ausstrecken und sie wach rütteln. Doch Ponneh nimmt ihre beiden Hände und zieht sie mit aller Kraft hoch, sodass sie durch den Schwung direkt in einen kichernden Laufschritt Richtung Küche fallen. Als sie davontraben, hört Saba das leise Schnarchen der alten Frau, ein letztes Lachen und die gemurmelten Worte: »Komm zu mir, wenn das Kind und die Bewältigung dich wieder besuchen kommen. Sie kommen immer zurück, wenn du denkst, du bist erwachsen … immer, immer.«
    * * *
    Fast jeden Tag, wenn er in seinem Büro und auf den Reisfeldern zu tun hat, bemüht sich Agha Hafezi, für Saba ein Mittagessen vorzubereiten – oder zumindest Tipps zu geben, was sie mittags essen könnte. An ganz schlechten Tagen legt er ihr Geld hin oder einen Zettel, den Saba dann einer von den Khanoms geben soll. Meistens steht da so was drauf wie: »Dürfte ich Sie hö f lich bitten, meiner Tochter etwas zum Mittagessen zu kochen? Und bitte kommen Sie morgen zu uns nach Hause, wir feiern mit unseren Freunden.« Das bedeutet nichts anderes als eine Abmachung: Gebt Saba heute was zu essen, dann könnt ihr morgen unsere gut bestückte Küche benutzen und einladen, wen ihr wollt – zwei Aufgaben, aber für ein von den Hafezis finanziertes gesellschaftliches Ereignis nimmt man das gern in Kauf. An richtig guten Tagen stellt er Saba einen Plastikbehälter mit ihren Lieblingseintöpfen hin, die bei einem dieser Feste übrig geblieben sind. Heute findet Saba einen großen Weißfisch, der in einem Eimer in der Spüle auftaut, und dazu einen Zettel. »Saba-dschun, weißt Du schon, wie man so einen Fisch zubereitet? Falls nicht, hol Ponneh.«
    Sie beäugt die Plastiktüte, die Ponneh aus ihrem Rucksack zieht – weißer Reis und geräucherter Karpfen, ein einfaches, billiges Essen. Sie geht zum Kühlschrank, doch Ponneh holt schon zwei Löffel aus der Schublade. »Lass mal. Ich hab genug für uns beide mitgebracht.«
    »Danke.« Saba nimmt einen Löffel. Sie deutet mit einem Nicken auf den Eimer und den teuren Weißfisch darin. »Den könntest du deiner Mutter mitnehmen.«
    Ponnehs Gesicht verdunkelt sich. »Ich kann es mir leisten, ein blödes Mittagessen mit dir zu teilen.«
    »’tschuldigung«, sagt Saba, als sie sich mitten in der riesigen Küche der Hafezis auf den Boden setzen. Der Raum ist voller Gegensätze: Neben dem uralten
tanur
-Ofen aus Ardabil – ein Relikt aus der Zeit ihres Großvaters, der lieber Brot als Reis aß, obwohl er das in Gilan nicht herumposaunte – steht ein übergroßer Kühlschrank, und in einer Ecke, neben einem modernen Backofen und einer mächtigen rechteckigen Spüle, stapeln sich Jutesäcke mit selbst angebautem Reis. Um ihren Fehler wiedergutzumachen, isst Saba ganz bewusst aus Ponnehs Schale – obwohl ihr Vater sie ermahnt hat, ihr Essen nie so eng mit Leuten aus dem Dorf zu teilen. Sie nimmt einen Bissen Räucherfisch und Butterreis, der so flockig und leicht ist, dass die Körner praktisch vom Löffel schweben und in ihrem Mund zerschmelzen. Sie überlegt, wie sie Ponnehs Stolz wiederherstellen kann, und sagt, den Mund voll mild gewürztem Essen: »Was, wenn ich das alles allein esse, und du fängst eine

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